Mrz 142023
 

Eine verpasste Chance für klimaangepasste Waldwirtschaft

Im Gemeindewald Seeheim-Jugenheim wurde kürzlich ein Kahlschlag vorgenommen. Etwa 1,6 ha eines etwa 50-jährigen Bestandes aus abgestorbenen und gesunden Fichten bei Ober-Beerbach wurden komplett vom Harvester “geräumt”. 

Gesunde und abgestorbene Bäume, grünes Astwerk und vitale Zapfen liegen auf einer einstigen Waldfläche oberhalb von Wallhausen.

Seeheim-Jugenheim ist mit dem Beschluss zur Einrichtung eines Runden Tischs auf einem guten Weg, was den zukünftigen Umgang mit dem Gemeindewald betrifft. Der Wald soll durch mehr naturnahe Waldbewirtschaftung auf die kommenden Herausforderungen im Klimawandel vorbereitet und externe Experten zu Rate gezogen werden. Umso mehr erstaunt diese Maßnahme am Schafhof Drachenhöhle bei Ober-Beerbach, die im Grunde in die entgegengesetzte Richtung weist: Der Kahlschlag ist – und das ist keine neue Erkenntnis – die schädlichste Form der Waldbewirtschaftung. Nicht umsonst wurde im Hessischen Waldgesetz als Kennzeichen ordnungsgemäßer Forstwirtschaft festgelegt, dass Kahlschläge von mehr als 1 ha zu vermeiden sind. 

Die Folgeschäden von Kahlschlägen sind enorm: Es kommt zur Überhitzung der Fläche, zu einer Verarmung des Bodens, Humus- und Nährstoffabbau, Störung des Bodenlebens, Abbau der Feinwurzelmasse und Verlust der Bodenwasserspeicherfähigkeit. Der Wald weicht mit fast all seinen Lebewesen und Ökosystemleistungen auf geraume Zeit einer Steppe. Er wird von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle von CO2, das in großen Mengen aus dem Waldboden emittiert wird. Der verbleibende Boden erodiert – gerade an Hängen wie unterhalb der Drachenhöhle und bei häufiger werdenden Starkregenereignissen. 

Kahlschläge reduzieren die positive, ausgleichende Wirkung des Waldes für das lokale Klima: Nicht nur wird das Waldinnenklima vollständig zerstört – die großflächige Auflichtung hat auch Auswirkung auf angrenzende Waldstücke, die ihrerseits von Trockenschäden betroffen sein werden. Der Boden wird in seiner Wasserspeicherfähigkeit dramatisch beeinträchtigt und trocknet immer weiter aus. Es kommt zu einem erhöhten Austrag von Stickstoff, und Nitrat kann ins Grundwasser ausgeschwemmt werden. Da der Boden sehr viel weniger Wasser aufnehmen kann, steigt die Hochwassergefahr in Hang-Tal-Lagen. Wird bei solchen Maßnahmen noch viel Waldboden durch den Einsatz schwerer Maschinen verdichtet, erhöhen sich die Auswirkungen auf das Ökosystem um ein Vielfaches.

Wer vor dem Kahlschlag an der Drachenhöhle steht, dem wird bewusst, welche Folgeschäden diese in der Brut- und Setzzeit durchgeführte Maßnahme haben wird: Die Fläche ist, abgesehen von ein paar toten Fichten am unteren Rand, komplett geräumt worden. Rückegassen, auf denen sich der tonnenschwere Harvester durch den Waldboden gewühlt hat, liegen dicht beieinander. Das Ausmaß der Bodenverdichtung ist groß. Die Rückegassen verlaufen hangabwärts und wirken so als Entwässerungssystem: Bei Regenfällen wird hier das Wasser ungehindert Richtung Wallhausen und weiter talabwärts geleitet. Etwas weiter unten befindet sich ein Wasserschutzgebiet, das möglicherweise von Ausschwemmungen von Nitrat betroffen sein könnte, und damit auch unser Grundwasser.

Die Räumung der “Käfer-Fichten” in Abteilung 125 des Gemeindewaldes war bereits im Waldwirtschaftsplan 2022 aufgeführt und wurde jetzt umgesetzt.

Nach Ansicht des NABU Seeheim-Jugenheim ist die Gemeinde Seeheim-Jugenheim hier nicht fachkundig und umfassend bezüglich der ökologischen Folgeschäden beraten worden. Auch die finanziellen Folgeschäden werden die Einnahmen, die sich die Gemeinde davon erwartet (laut Waldwirtschaftsplan knapp 17 000 Euro), mit Sicherheit auf längere Sicht gesehen übersteigen: Es fallen Kosten zu Pflanzungen an, die voraussichtlich auf der heiß geschlagenen Fläche zu großen Teilen wieder vertrocknen werden. Es werden weitere Ersatzpflanzungen nötig sein, ein Zaunbau, um die Pflanzen vor Wildverbiss zu schützen. Immer wieder wird die Fläche von den nun aufwachsenden Brombeeren und Gras freigeschnitten werden müssen. Kosten für den Wasserrückhalt und Hochwasserschutz werden sicher anfallen. Möglicherweise trägt diese Maßnahme auch zu Hochwasserschäden bei. (Bei der Ahrflut haben auch oberliegende Fichtenkahlschläge zum erhöhten Abfluss ins Tal beigetragen.) Aus Klimaschutzgründen wäre zudem eine CO2-Kompensationsmaßnahme angeraten, um die enormen CO2-Emissionen aus der Fläche zu kompensieren. Weitere Ausfälle von Ökosystemdienstleistungen müssten aktuellem Wissensstand nach noch hinzugerechnet werden. 

Selbst wenn bei dieser Maßnahme schon bestehende Gassen zur Erschließung bestanden haben, so hätte man bei der engen Anlage der Gassen jede zweite Gasse befahren können und so den anderen Gassen die Möglichkeit zur Regeneration gegeben. Das sieht im Übrigen auch der FSC-Standard vor, nach dem die Wälder der Gemeinde bewirtschaftet werden. Ihm zufolge soll angestrebt werden, nicht mehr als 10% der Holzbodenfläche zu befahren, was einem Abstand der Gassen zueinander von 40 Metern entspricht. Mehr als 13,5% dürfen insgesamt nicht befahren werden. Hier bei Ober-Beerbach wurden sogar 20-Meter-Abstände unterschritten. Da FSC schon 2018 Verstöße gegen die geltenden Richtlinien festgestellt hat und HessenForst Konzepte erarbeiten musste, wie man Bodenschäden minimieren kann, fragt man sich, ob diesbezüglich kein Lernprozess und die im Bericht geforderte Schulung nicht stattgefunden hat (Zitate aus dem Auditbericht: „Für den Betrieb insgesamt fehlt aber ein verbindliches Vorgehen mit schwierigen Fällen auch in der Zukunft. Die Frist für diese Auflage wird einmalig verlängert.“ Und: „Die Bestandserschließung mit Rückegassen ist unverändert in Einzelfällen nicht ausreichend systematisch. Insbesondere der Umgang mit bereits bestehenden alten Gassen, die nicht der langfristigen Zielvorstellung entsprechen, ist nicht sorgfältig genug. Eine bessere Vorplanung für schwierige Fälle ist nötig.“)

Wenn laut Waldwirtschaftsplan “Käfer-Fichten” geerntet werden sollten – warum wurden dann zahlreiche gesunde Bäume gefällt? Das ist nicht nur eine Abweichung vom Waldwirtschaftsplan, sondern auch ökologisch katastrophal.  

Es wurden noch viele gesunde Bäume geschlagen, der Waldwirtschaftsplan sprach von „Käfer-Fichten“ und „Kalamität-Pflegenutzung“.

Das zuständige Forstamt Darmstadt kannte die Beschlüsse der Gemeindevertretung, neue Wege einzuschlagen und Strategien für eine nachhaltige, naturverträgliche und klimaangepasste Waldbewirtschaftung zu entwickeln. Wir hätten daher erwartet, dass das Forstamt Darmstadt die Gemeindevertreter spätestens vor diesem Hintergrund noch einmal umfassend über Umfang und Ausmaß der Maßnahme, deren Umweltverträglichkeit und Folgeschäden informiert, um evtl. eine alternative Form der Durchführung zu diskutieren. Mittlerweile hat die Wissenschaft sehr genau dargestellt, was die Folgeschäden solcher Maßnahmen im Klimawandel sind – und welche Vorteile es hat, auch tote Bäume stehen zu lassen, ganz zu schweigen von gesunden Bäumen, von denen es noch zahlreiche auf dieser Fläche gegeben hat. Dass auch tote Bäume zu Kühlung, Beschattung und Naturverjüngung ähnlich viel beitragen wie vitale Bäume, zeigen aktuelle Studien – und dass es auch ökonomische Vorteile bringt, sie nicht abzuräumen.

Viele Waldbesitzer haben seit der Räumung vieler Flächen in den Jahren 2018-2020 dazu gelernt und wissen, dass der Aufwuchs einer neuen Vegetation in heißen und trockenen Sommern erschwert ist. Die Überhitzung der Fläche spielt dabei eine zentrale Rolle. HessenForst zieht andernorts die Reißleine und lässt tote Käferfichten stehen. 

Die Temperaturdifferenz von abgeräumten und intakten Waldflächen kann bis zu 20°C betragen. Abgestorbene Bäume kühlen die Fläche weiterhin. In ihrem Schutz kann sich ein neuer Wald entwickeln.

Quelle: Ibisch et al: Der Wald in
Deutschland
auf dem Weg in die
Heißzeit
Vitalität und Schädigung in den
Extremsommern 2018-2020
, Bilder: Greenpeace

Da seitens FSC empfohlen wird, sich bei konkreten Fragen an den zuständigen Forstbetrieb zu wenden, hat der NABU versucht, eine Stellungnahme des Forstamts Darmstadt zu den Fällungen einzuholen und konkrete Fragen zu der Maßnahme gestellt (siehe grauer Kasten), um die Sicht des Forstamts in diesem Bericht zu berücksichtigen und zu erfahren, wie man weiter mit der Fläche umgehen wird. Auf Antworten zu diesen Fragen und auf eine Stellungnahme seitens HessenForst wurde verzichtet und zu den Hintergründen der Maßnahme auf die Verantwortlichkeit der Gemeinde verwiesen, der unsere Anfrage ebenfalls zuging. Da Anfragen an die Gemeindeverwaltung erfahrungsgemäß erst nach Monaten oder gar nicht beantwortet werden, haben wir mit der Veröffentlichung dieses Berichtes nicht gewartet. Das sind wir nicht nur dem Wald, sondern auch den Bürgern schuldig, die diesen Einschlag an den NABU gemeldet haben. Wir hoffen, dass im Rahmen des Runden Tischs gemeinsam Alternativen zu dieser Form der Waldbewirtschaftung gefunden und Leitlinien entwickelt werden können, die effektiver und verlässlicher als der FSC-Standard eine naturnahe Waldbewirtschaftung sicherstellen.


Wie könnte nun ein aus unserer Sicht sinnvoller Umgang mit abgestorbenen Fichtenflächen aussehen? 

Um Bodenschäden durch zu starke Befahrung zu vermeiden, sollte der Rückegassenabstand von 40 m auf keinen Fall unterschritten werden. Alte Gassen, die diesen Abstand unterschreiten, dürfen nicht mehr befahren werden. Wichtig ist, dass die geltenden Gassen sichtbar markiert werden (am besten werden die Randbäume in zwei Meter Höhe abgeschnitten und markiert), damit nicht, wenn in Jahrzehnten wieder Bäume entnommen werden sollen, neue Rückegassen abseits der Alten angelegt werden, die zu weiteren Bodenschäden führen. In Reichweite des Harvesters können dann Fichten aufgearbeitet werden. Reisig und Kronenteile sollten auf diesen abgeernteten Flächen verbleiben, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und um Rehwild fernzuhalten. Dieser zehn Meter breite Streifen (so weit kommt ein Harvester in der Regel mit seinem Arm), kann dazu genutzt werden, Lichtbaumarten wie Eichen in kleinen Trupps zu pflanzen. Aus Kostengründen, aber auch um die positiven Wirkungen der natürlichen Wiederbewaldung zu nutzen, sollten stets nur kleine Teilflächen, im Umfang von nicht mehr als 15% bepflanzt werden. Das reicht, wie vielfältige Erfahrungen, beispielsweise aus Rheinland-Pfalz, zeigen, aus, um diese Streifen wiederzubewalden. Die Zwischenfelder, in denen der Harvester nicht an die Stämme kommt, bleiben die Fichten stehen. Im Schutz der abgestorbenen Fichten, die weiterhin Schatten spenden, kann man dann beispielsweise Buchen einbringen. Auf diese Art ergibt sich ein Mosaik aus bearbeiteten Streifen und abgestorbenen Fichten, die zunächst stehen bleiben und dann nach ihrem Umfallen eine Art natürlichen Verbissschutz bilden. So ein Vorgehen ist zwar leider noch nicht die Regel, wird aber beispielsweise bei den niedersächsischen Landesforsten im Harz praktiziert. Natürlich kann man nicht mehr alle Wirkungen eines intakten Waldes erreichen, aber immerhin werden die Auswirkungen des Absterbens gegenüber dem Kahlschlagen stark abgemildert. (Nach einem Vorschlag von Gerald Klamer, Diplom-Forstwirt)

Die schonendere Methode und wesentlich naturnähere Methode ist es, einen Großteil der alten, sterbenden Bäume stehen zu lassen, motormanuell einzelne Bäume zu ernten, die Naturverjüngung ihren Job machen zu lassen und/oder in die Lücken gewünschte heimische und standortgerechte Baumarten zu pflanzen. Diese Vorgehensweise praktiziert beispielsweise erfolgreich die Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochwald.

Die Erfahrungen aus den Kernflächen des Nationalparks Bayerischer Wald und aus dem Nationalpark Sächsische Schweiz zeigen, dass aus toten Fichtenreinbeständen ein artenreicher Mischwald entstehen kann, wenn man gar nicht eingreift.

Nationalpark Sächsische Schweiz: Im Schatten der abgestorbenen Fichten entwickelt sich ganz natürlich und kostenlos ein artenreicher Mischwald.

FSC empfiehlt, sich mit konkreten Fragen an das zuständige Forstamt zu wenden. Für den Seeheim-Jugenheimer Gemeindewald ist das Forstamt Darmstadt zuständig.

Fragen des NABU Seeheim an HessenForst (verkürzte Form)

  • Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um diesen Kahlschlag zu vermeiden? 
  • Die Bodenverdichtung ist auf dieser Fläche übermäßig hoch. Weshalb wurden bei dieser Maßnahme die laut FSC-Richtlinien anzustrebenden höchstens 10% Bodenbefahrung (das entspricht einem Abstand von 40 Metern) nicht berücksichtigt, um Waldboden zu schonen? 
  • Sind in dieser Fläche alte Gassen befahren worden und/oder wurden neue angelegt? Wenn alte Gassen befahren wurden, weshalb wurden nach FSC-Standard überflüssige Gassen nicht stillgelegt?
  • In welchem Zeitraum wurde die Maßnahme durchgeführt?
  • Neben vom Borkenkäfer befallenen Fichten wurden auch zahlreiche gesunde Fichten gefällt. Bei der Bezeichnung der Maßnahme in Abteilung 125 wurde im Waldwirtschaftsplan 2022 von “Käfer-Fichten” gesprochen. Weshalb wurden auch in großem Ausmaß gesunde Bäume ohne Befall geschlagen? 
  • Durch die flächige Räumung wurden potenzielle Habitatbäume von der Fläche entfernt. Werden Sie die von FSC geforderten 10 Habitatbäume pro Hektar an anderer Stelle auszeichnen und weitere Brutmöglichkeiten für Vögel schaffen? 
  • Wieviel Totholz wird auf der Fläche belassen?  
  • Welche Maßnahmen werden ergriffen, um das Anwachsen von Bäumen zu sichern?
  • Welche Maßnahmen werden ergriffen, um ein Hochwasserrisiko durch oberflächlichen Regenwasserabfluss Richtung Wallhausen abzumildern?
  • Wurden ökologische Folgeschäden bei der Maßnahme berücksichtigt?
  • Wie hoch schätzen Sie die Folgekosten der Maßnahme für die nächsten 40 Jahre ein?

In seiner Antwort auf die Anfrage des NABU hat Forstamtsleiter Müller jegliche Stellungnahme zu den Fragen des NABU abgelehnt und verweist auf die Verantwortlichkeit der Gemeinde.

Bericht: Gunnar Glänzel und Yvonne Albe

Bilder: Yvonne Albe

Aug 182022
 

Im Frühjahr diesen Jahres hat der NABU Seeheim-Jugenheim e.V. die Gemeinde Bickenbach und deren Forstdienstleister HessenForst darauf hingewiesen, dass der Gemeindewald bei Forstarbeiten stark in seiner Funktion beeinträchtigt wurde. Bei einem gemeinsamen Waldbegang mit dem Zertifizierer PEFC wurde deutlich, dass der Hauptkritikpunkt des NABU, die übermäßige Bodenverdichtung durch Maschinen, nicht mit den Richtlinien des PEFC-Standards vereinbar war. Zwei von fünf vom NABU kritisierten Punkten wurde als Abweichung gewertet.
Bei einem Gespräch zwischen Mitgliedern des Gemeindevorstandes Bickenbach, Bürgermeister Hennemann und Mitgliedern des NABU Seeheim-Jugenheim e.V. Anfang Juni wurde über die bisherige Behandlung des Waldes, das Miteinander zwischen der Gemeinde und dem Naturschutzbund und zukünftige Lösungsansätze gesprochen. Dabei wurde der NABU gebeten, seine Vorschläge zur zukünftigen Waldbehandlung in einem Leitlinien-Papier zu erarbeiten und der Gemeinde vorzulegen. Wir haben dieses Angebot, uns konstruktiv mit konkreten Lösungsvorschlägen einzubringen, gerne genutzt. Denn da sich der Gemeindewald in einem sehr schlechten Zustand befindet, müssen alternative Formen zur bisherigen Waldbehandlung gefunden werden, um den Wald zu stabilisieren.

Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung unseres 10-Punkte-Papiers sowie die Ausführungen der einzelnen Leitlinien. Diese Leitlinien wurden am 18.8.2022 an den Bürgermeister sowie Mitglieder des Gemeindevorstandes und Gemeindevertretung übermittelt.

Zusammenfassung

Der Zustand der 140,6 ha Gemeindewald ist prekär. Eine weitere Verschlechterung steht aufgrund zahlreicher Stressfaktoren zu befürchten. Während der Stress durch äußere Faktoren (Makroklima wie Hitze und Trockenheit, Schadstoffeinträge und Zerschneidungen) direkt nicht gemindert werden kann, kann deren Wirkung durch die Reduktion innerer Stressfaktoren abgemildert werden. Waldinterne Stressfaktoren können durch die Waldbewirtschaftung entstehen (vor allem Fällungen und Entfernen des Holzes aus dem Ökosystem, Räumung von Schadflächen, zu starke Durchforstung, ungeeignete Pflege, Einsatz von schwerem Gerät und Pflanzung ungeeigneter Baumarten) – aber auch durch Rehverbiss infolge zu hoher Wildbestände. Das Ziel einer neuen Waldmanagementstrategie muss es sein, diese direkt beeinflussbaren, inneren Stressfaktoren zu reduzieren, um die Widerstandsfähigkeit und Selbstheilungskräfte des Waldes zu erhöhen. Denn ein komplexes Ökosystem wie der Wald kann unter zunehmendem Stress durch äußere Faktoren nur durch selbsterhaltende Kräfte überleben, und daher müssen diese Kräfte zwingend gestärkt werden. Die folgenden Handlungsempfehlungen ergeben sich aus diesem übergeordneten Ziel, dem Schutz und der Stärkung des Waldes als Ökosystem.

Leitlinie 1: Bis auf Weiteres stark reduzierte Holzernte (Steigerung des Holzvorrats im Wald). Reduktion von  Fällungen auf ein unverzichtbares Minimum (Verkehrssicherung). Läuterung, Pflege und Durchforstung werden bis auf absolut notwendige Ausnahmen ausgesetzt. 

Leitlinie 2: Zum Schutz eines intakten Waldinnenklimas wird das Kronendach geschlossen gehalten und die Beschattung gefördert. Bestehende Waldränder werden naturnah strukturiert, neue Waldränder und Zerschneidungen werden vermieden. Das Wegenetz wird dort, wo es möglich ist, zurückgebaut.

Leitlinie 3: Vorrang der natürlichen Verjüngung standortheimischer Baumarten, besonderer Schutz/Förderung von Sämlingen dieser Arten. Nur dort, wo diese nach Dichte und Zusammensetzung nicht ausreicht, ggf. ergänzende Saat dieser Arten (nur, wenn diese nicht möglich oder sinnvoll ist, auch durch Pflanzung). Gezieltes und bedachtes Zurückdrängen konkurrierender Pflanzen, v.a. invasiver Arten mit handgeführter Technik. Erstellung und Umsetzung eines neuen Jagdkonzepts mit dem Ziel der Reduktion von Verbissschäden.

Leitlinie 4: Förderung naturnaher und standortangepasster Baumartenzusammensetzung. Dort, wo sich in absehbarer Zeit keine naturnahe Baumartenzusammensetzung von allein etablieren wird, sollte aktiv eingegriffen werden (Unterstützung Naturverjüngung, Saat, Pflanzung). Gezieltes, systematisches und Zurückdrängen invasiver Arten nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. 

Leitlinie 5: Erhaltung und Wertschätzung vielfältiger natürlicher Strukturen (verschiedene Baum- und Pflanzenarten unterschiedlichster Altersklassen einschließlich Krank- und Totholz) und Entwicklungsprozessen des Waldes (Anfangs-, Übergangs- und Schlußwald, Optimal-, Alters-, Plenter-, Verjüngungs- und Zerfallsphase). Insbesondere ältere Bäume werden nicht mehr gefällt. Ziel eines Holzvorrats von min. 70% bis 80% des natürlichen Vorrats. Keine Räumung von Schadflächen.

Leitlinie 6: Förderung der biologischen Vielfalt und der Vernetzung von Lebensräumen durch mehr Habitatbäume, ggf. künstliche Nistmöglichkeiten für Fledermäuse und Vögel. Es werden keine Waldarbeiten innerhalb der Brut- und Setzzeit durchgeführt und keine Pestizide eingesetzt. So wenig Mahd von Wegrändern wie möglich; verstärkter Schutz besonderer Arten; Erarbeitung und Umsetzung eines Biotopverbundkonzepts.

Leitlinie 7: Förderung der Versickerung (Infiltration) von Regen- und Fließwasser; Förderung von Infiltration begünstigenden Baumarten; Totholz als Wasserspeicher; Prüfung der Möglichkeiten der Infiltration aus Kläranlagen.

Leitlinie 8: Förderung der Beziehung der BürgerInnen zum Wald und der Umweltbildung durch die Erschließung des Gemeindewaldes zum Beispiel mit Waldlehr- und Erlebnispfaden, die Kennzeichnung besonderer Bäume, Abteilungsschildern mit Flurnamen oder Wegebezeichnungen; Einbindung von Schulen und Kindergärten; erholungsorientierte Besucherlenkung; bessere Aufklärung über waldtypische Gefahren; Angebote moderner Waldpädagogik.

Leitlinie 9: Mehr Bodenschutz durch weniger Befahrung mit Maschinen. Es werden keine neuen Rückegassen mehr angelegt. Gassen, die einen Mindestabstand von 40 Metern unterschreiten, werden stillgelegt. Ein nachhaltiges Konzept für die Bodenschonung wird entwickelt.

Leitlinie 10: Regelmäßige Erhebung von Daten, die notwendig sind, die Umsetzung und ggf. Anpassung des Leitbilds zu messen. Experten werden eingebunden; wissenschaftsbasierte Umsetzung und Weiterentwicklung im Einklang mit aktuellem Stand der forstwissenschaftlichen Forschung; keine Umsetzung von Maßnahmen durch externe Unternehmer mehr. 

1.     Einleitung

Der Gemeindewald Bickenbach umfasst 140,6 ha. Der Zustand des Gemeindewaldes ist prekär. Eine weitere Verschlechterung steht aufgrund zahlreicher Stressfaktoren zu befürchten. Auch wenn diese Stressfaktoren meist miteinander in Verbindung stehen und sich oft gar gegenseitig verstärken, ist es sinnvoll, sie systematisch und zunächst getrennt voneinander zu betrachten. Dabei bietet sich die Unterscheidung in äußere und innere Stressfaktoren an. Äußere Stressfaktoren sind solche, auf die man vor Ort kaum direkten Einfluss nehmen kann. Innere Stressfaktoren entstehen hingegen vor Ort, und ihr Management kann die Widerstandsfähigkeit des Waldes gegen Stress von außen beeinflussen.

Zu den äußeren Stressfaktoren zählen vor allem Makroklima (Hitze, Trockenheit, Sturm, auch in Wechselwirkung mit biotischen Interaktionen, wie etwa Schädlingen und invasiven Arten), Schadstoffe (Bodenversauerung, Stickstoff etc.) und Zerschneidungen (Bebauung, Straßen, Energietrassen, Windwurf etc.). In Kombination führt all das zu einem starken Stress für den Gemeindewald Bickenbach.

Die Wirkung externer Stressfaktoren kann gemindert werden, indem interne Stressfaktoren reduziert werden. Dazu zählen: Die Räumung von Störungsflächen, die Pflanzung oder Förderung nicht-standortheimischer Baumarten, v.a. von Nadelbäumen, der Verbiss von Jungwuchs insb. durch Rehwild, die konventionelle Pflege, die Holzernte und vor allem die Fällung von Altbäumen >140 Jahren sowie Entfernung von Totholz aus dem Ökosystem, die zu dichte Anlage von Waldwegen und Rückegassen sowie deren Befahrung mit schwerem Gerät sowie Fäll- und Rückeschäden.

All das führt zu zahlreichen, komplex miteinander und mit externen Stressfaktoren in Wechselwirkung stehenden Schäden im Wald: Das Waldinnenklima wird vor allem durch Räumung, „Pflege“ und damit einhergehende Kronenauflichtung gestört: (Zu viel) Licht, Hitze und Trockenheit ziehen ein, der Wasserhaushalt leidet, wann immer Holz aus dem Wald entnommen wird, sei es durch „Pflege“, Ernte oder Räumung. Gleichzeitig schwindet für zahlreiche Arten der Lebensraum, die Artenvielfalt wird reduziert, und für das Ökosystem als Ganzes lebenswichtige Symbiosen zwischen Flora und Fauna können nicht mehr funktionieren. Im Boden schwindet die Artenvielfalt durch Befahrung und Verdichtung ebenfalls, die Wasseraufnahme- und Haltefähigkeit nimmt ab, das Mykorrhiza-Netzwerk wird geschädigt, und es kann kein Austausch von Wasser und Nährstoffen mehr im Boden stattfinden.

All das kann hier einleitend zunächst nur angerissen werden, wird aber deutlicher, wenn in Abschnitt 3 im Rahmen von Leitlinien und Handlungsempfehlungen1 auch Mittel und Wege gegen diese inneren Stressfaktoren empfohlen werden. Hier reicht zunächst der Hinweis darauf, dass das vorrangigste Ziel darin liegen muss, die Widerstandsfähigkeit (Resistenz) und die Selbstheilungskräfte (Resilienz) des Waldes so gut wie möglich zu erhalten und/oder wiederherzustellen.

2.     Ziele, Zielkonflikte und Priorisierung

In der Forsteinrichtung von 2016 sind fünf Zielsetzungen der Waldbewirtschaftung ihrer Priorisierung nach in folgende Reihenfolge gebracht worden:

1. Schutz- und Erholungsfunktionen (außerordentlich wichtig),

2. Holzproduktion (wichtig).

3. Finanzieller Nutzen (wichtig) mit dem Ziel: „Bestreben nach einem ausgeglichenen Betriebsergebnis unter evtl. Inkaufnahme eines minimalen Defizits zugunsten der Hauptfunktionen“.

4. Bewirtschaftung ausschließlich durch Unternehmer.

5. Keine nennenswerten Abstriche zugunsten der jagdlichen Nutzung.

Wie einleitend betont, muss es in der Zukunft primär um den Erhalt des Waldes gehen und dieses Ziel folglich an oberster Stelle stehen – die Zukunft des Waldes steht „auf Messers Schneide“: Es zeichnen sich bereits deutlich sichtbar selbst verstärkende Zerfallsprozesse ab, die kurz- bis mittelfristig auch mit erheblichem Aufwand nicht mehr aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen sind. Die Folge sind Verbuschung und Versteppung, also ein Totalverlust des Waldes, im Zuge dessen auch keine der zahlreichen anderen Ziele der Waldbewirtschaftung mehr erreichbar sein werden. Um dem entgegenzuwirken, ergibt sich folgendes Leitbild:

1. Alle 140,6 ha des Gemeindewaldes Bickenbach bleiben dauerhaft erhalten oder werden im Idealfall ausgeweitet (Entsiegelung, Renaturierung).

2. Der Gemeindewald besteht aus biologisch vielfältigen und funktionsfähigen, naturnahen Waldökosystemen, denn nur als intaktes Ökosystem kann er dauerhaft erhalten bleiben.

3. Der Gemeindewald ist stabil und anpassungsfähig, weil das komplexe Ökosystem Wald sich auf Dauer nur „selbst helfen“ kann und dafür Resistenz und Resilienz benötigt, insbesondere im Klimawandel.

4. Der Gemeindewald erbringt heute und künftig für die Menschen unverzichtbare Ökosystemdienstleistungen (Erholung, Kühlung, Feuchtigkeit, Artenvielfalt, ggf. auch wieder Holz).

Aus diesem allgemeinen Leitbild ergibt sich eine Zielkaskade, also eine Priorisierung konkreter Anforderungen an den Wald bzw. Funktionen des Waldes. Nicht jede dieser Funktionen kann immer gleich stark erfüllt werden. Im Gegenteil muss in den meisten Fällen eine Funktion unerfüllt bleiben, um eine andere zu erfüllen; andererseits begünstigen sich viele Funktionen auch gegenseitig, was man sich bei der Waldbewirtschaftung zunutze machen sollte. Entsprechend der Priorisierung der vier Bestandteile des Leitbildes ergibt sich diese Zielkaskade für den Gemeindewald Bickenbach wie folgt:

1.      Ökosystemschutz

2.      Bodenschutz

3.      Artenschutz

4.      Temperatur- und Feuchtigkeitsregulierung

5.      Grundwasserfunktion 

6.      Walderholung, Gesundheit, Tourismus, etc.

7.      Klimaschutz und Kohlenstoffbindung

8.      Roh- und Brennholzversorgung

Abb. 1: Disharmonische Zielsetzungen im Wald

Abb. 2: Zielkaskade definieren

3. Leitlinien/Handlungsempfehlungen

Leitlinie 1: Bis auf Weiteres stark reduzierte Holzernte

Die Entnahme von Bäumen aus dem Bestand widerspricht sieben der acht der Ziele der oben definierten Zielkaskade. Um dauerhaft den Holzvorrat zu steigern (“Holz wächst nur an Holz”, s. Leitlinien 2 und 5) und die lokalen Ökosysteme zu stärken, sollten Bäume nur in Ausnahmefällen gefällt und entnommen werden. Daraus ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:

1.1 Fällungen müssen auf ein rechtlich zwingend gebotenes Minimum (Verkehrssicherung) reduziert werden.

1.2 Läuterung, Pflege, Durchforstung und Ähnliches wird ausgesetzt bzw. ebenfalls auf absolut notwendige Ausnahmen beschränkt, die nur im Einklang mit hier definierten Leitlinien vorgenommen werden sollen. Darüber sollte in einem einzurichtenden Gremium entschieden werden. 

1.3 Holzernte (also Verkauf von Holz) findet nicht mehr statt, bis die nötige Naturnähe und Stabilität des Waldes wieder hergestellt ist. Sollten Verkehrssicherungsmaßnahmen nötig werden, verbleibt das Holz in aller Regel im Wald und trägt zu Artenvielfalt, Wasserhaushalt, Humusbildung, Naturverjüngung (natürlicher Verbissschutz) und vielem mehr bei.

Leitlinie 2: Schutz des Waldinnenklimas

Resistenz und Resilienz basieren vor allem auf einem intakten Waldinnenklima; ein relativ kühles und feuchtes Klima ist das wichtigste Element, wenn es darum geht, alle anderen Funktionen der Waldökosysteme zu erfüllen: Vor allem nachhaltige und widerstandsfähige Zunahme des Holzvorrats, Naturverjüngung, Feuchtigkeit, Kühlung und Artenvielfalt. Handlungsempfehlungen umfassen vor diesem Hintergrund:

2.1 Keine Öffnungen des Kronendachs mit Ausnahme notwendiger Verkehrssicherungsmaßnahmen gemäß 1.1

2.2 Jede Art der Beschattung ist zu fördern und wird nicht entfernt, ggf. mit Ausnahme invasiver Neophyten (Götterbaum, Robinie, Spätblühende Traubenkirsche), wo dies sinnvoll und notwendig ist.

2.3 Bestehende Waldränder werden naturnah strukturiert (durch Waldmäntel aus Sträuchern, die das Waldinnenklima nach außen abschirmen); neue Waldränder werden möglichst vermieden, denn Ränder beeinträchtigen bis zu 100 m in den Wald hinein das Innenklima.

2.4 Es wird geprüft, ob alle Wege im Wald notwendig sind, und unnötige Wege werden rückgebaut.

Leitlinie 3: Förderung der natürlichen Verjüngung

Die Naturverjüngung (Nachwuchs an Bäumen direkt aus Samen lokaler Bäume) verspricht für kommende Waldgenerationen die besten Zukunftschancen und muss oberste Priorität haben. Denn Nachwuchs aus Naturverjüngung ist genetisch an den Standort angepasst und wird zudem von „Mutterbäumen“ nicht nur durch Beschattung, sondern tatsächlich auch stofflich unterstützt. Um diesen „Königsweg“ der nachhaltigen Waldbewirtschaftung zu begehen, empfehlen sich folgende Handlungsleitlinien:

3.1 Es werden standortspezifische Listen geeigneter standortheimischer Baumarten (vor allem heimische Laubbaumarten wie Eichen, Hainbuche,  Winter-Linde, Feld- und Spitz-Ahorn, Elsbeere) erstellt (siehe Leitlinie 8) und die Naturverjüngung dieser Arten unter besonderen Schutz gestellt. Auch heimische Pionierbaumarten (Weiden, Espen, Birken) und Sträucher werden belassen. 

3.2 Bei zu wenig Naturverjüngung oder bei Nichtvorhandensein der gelisteten Arten in der Umgebung kann und soll der Aufbau standortheimischer, vielfältiger Wälder unterstützt werden, idealerweise durch Saat (Hähersaat) bzw. im Ausnahmefall auch durch Pflanzung, hier wiederum im Idealfall Pflanzung lokal gewonnener Wildlinge anstatt von Baumschulpflanzen. Hierbei sind vorausschauend Klimawandel und andere Stressfaktoren sowie absehbare ökologische Risiken zu berücksichtigen.

3.3 Konkurrierende Pflanzen, vor allem invasiver Arten wie der Götterbaum, die Robinie und die Spätblühende Traubenkirsche, sollten bevorzugt dort zurückgedrängt werden, wo die Naturverjüngung gefördert werden soll. Dabei darf nur leichte, handgeführte Technik eingesetzt werden.

3.4 Es wird ein effektives Jagdkonzept erarbeitet und umgesetzt, denn das größte Problem der Naturverjüngung ist der Rehverbiss. 

Leitlinie 4: Förderung naturnaher Baumartenzusammensetzung

Wie bereits mehrfach betont, sind standortheimische Baumarten und auch Baumindividuen an ihren Standort angepasst und damit am besten gegen Stress gewappnet und mit Selbstheilungskräfte ausgestattet. Zudem entwickelt sich in naturnahen Wäldern auch eine standortspezifische Vielfalt an Baumarten und innerhalb der Arten an Genotypen. Vor allem im Vergleich mit Monokulturen standortfremder Arten weist diese multiple Vielfalt insgesamt deutlich höhere Widerstandsfähigkeit gegen Stress und bessere Selbstheilungskräfte auf. An einigen Stellen im Gemeindewald wird sich in absehbarer Zeit jedoch keine naturnahe Baumartenzusammensetzung mehr von allein etablieren, weil durch die langjährige Einwirkung interner und externer Stressfaktoren das Ökosystem destabilisiert ist – an diesen Stellen sollte aktiv eingegriffen werden (analog zu Leitlinie 3.2). Handlungsempfehlungen ergeben sich wie folgt:

4.1 Grundsätzlich ist durch Einhaltung von Leitlinie 3 (Naturverjüngung) bereits sichergestellt, dass nur Baumarten (nach)wachsen, die den natürlichen Waldgesellschaften im Gemeindewald Bickenbach entsprechen. Andere Baumarten werden grundsätzlich nicht eingebracht; und es werden durch natürliche Prozesse wachsende Arten belassen, auch wenn sie nicht zu den primär zu fördernden Arten (Leitlinie 3.1) zählen, etwa Pionierbaumarten wie Salweide, Birke oder Zitterpappel.

4.2 Das Einbringen heimischer Baumarten aus anderen Gebieten (z. B. Rotbuche aus Polen) ist (auch rechtlich) zu prüfen. Das Einbringen von Baumarten, die zwar in (Mittel-)Europa heimisch, aber nicht regionaltypisch sind (z.B. Esskastanie, Flaumeiche, Zerreiche) kann nach dem Prinzip der vorausschauenden Anpassung nach einer ausführlichen Abwägung der Chancen und Risiken eine Ergänzung der heimischen Baumarten darstellen. Vom Einbringen von Baumarten aus anderen Erdteilen ist grundsätzlich abzusehen.

4.3 Invasive Arten und/oder Neophyten wie Götterbaum, Spätblühende Traubenkirsche und Robinie sollten zurückgedrängt werden. Dabei sollte maßvoll und mit Sachkenntnis vorgegangen werden, weil einfaches motormanuelles Abschneiden der Bäume/Triebe oft zu erneutem Austreiben führt (Stockausschlag) und damit das Problem zunächst eher verschlimmert. „Rabiatere“ Verfahren wie Ausreißen der Pflanzen oder gar Mulchen ganzer Flächen ist nicht mit der schonenden Herangehensweise, die hier insgesamt angeraten wird, oder auch mit einzelnen primären Zielen, wie etwa dem Bodenschutz, vereinbar. Dennoch ist insgesamt das Management invasiver Arten eines der drängendsten Probleme im Gemeindewald. Hierfür braucht es mehr Daten und Know-how.

Leitlinie 5: Hohe Vielfalt natürlicher Strukturen und Waldentwicklungsprozessen

Vielfältige Strukturen (verschiedene Baum- und Pflanzenarten unterschiedlichster Altersklassen einschließlich Krank- und Totholz) mit allen Waldentwicklungsphasen (Anfangs-, Übergangs- und Schlusswald, Optimal-, Alters-, Plenter-, Verjüngungs- und Zerfallsphase) in natürlichen Anteilen erhöhen die Stabilität und Resilienz des Waldökosystems. So bieten sie zahlreichen Tier- und Pflanzenarten ein Habitat und erhöhen zudem den Erlebnis- und Erholungswert. Im Gemeindewald sind nach der letzten Forsteinrichtung (S. 7) die Altersklassen über ALK VI (älter als 120 Jahre) „nur gering vertreten”. Alte, dicke, für die Stabilität des Ökosystems Wald und die Kohlenstoffbindung besonders wertvolle Bäume sind demnach stark unterrepräsentiert, so dass deren Anteil erhöht werden muss. Als Teil vielfältiger Strukturen ist außerdem Totholz in allen Zerfallsphasen und sowohl liegend als auch stehend notwendig, denn nahezu jede Tier-, Pflanzen- und Pilzart, die von Totholz lebt, ist auf eine bestimmte Art Totholz spezialisiert und davon abhängig. Zudem speichert Totholz Wasser wie ein Schwamm und wird schließlich zu Humus im Waldboden, der ebenfalls Wasser und Nährstoffe speichert und Kohlenstoff bindet: „Im Gegensatz zur manchmal geäußerten Meinung zeigen tote Bäume also keineswegs einen ‚toten Wald‘ an, sondern sind ein wichtiger Bestandteil eines lebendigen Waldökosystems.“ (Bericht des Runden Tisches zum Stadtwald Darmstadt, S.24).

Folgende Handlungsempfehlungen ergeben sich aus dem Gesagten:

5.1 Alle Waldentwicklungsphasen werden zugelassen und wertgeschätzt, vor allem auch die Alters-, Plenters-, Zerfalls- und Verjüngungsstadien.

5.2 Grundsätzlich werden ältere Bäume (über 120 Jahre) nicht mehr gefällt.

5.3 Es wird ein Minimalprinzip eingeführt: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Grundsätzlich ist jede Maßnahme im Wald auf ihre Notwendigkeit für ein strukturreiches Ökosystem hin zu prüfen und zu begründen.

5.4 Im Gemeindewald sollen künftig 10% der Fläche als Referenzflächen (rechtlich dauerhaft gesicherte und der Forschung zur Verfügung stehende stillgelegte Flächen) ausgewiesen werden, um Zielwerte u.a. für Holzvorrat und Totholz zu ermitteln und zu überprüfen.

5.5 Angestrebt werden soll, den Holzvorrat dauerhaft auf mindestens 70% bis 80 % des natürlichen Vorrats entsprechender Standorte (Referenzfläche) anzuheben. Die nachhaltige Anhebung des Holzvorrats soll bei allen waldbaulichen Entscheidungen eine wichtige Zielsetzung sein.

5.6 Totholz wird im Gemeindewald nicht entfernt, sondern in den Beständen belassen, bis ein festzulegender Zielwert (Anteil Referenzfläche) erreicht ist.

5.7 Bereits heute gibt es im Gemeindewald erste Flächen mit hohen akuten Baumschäden bis hin zu flächigen Zerfallsphasen. Während sie konventionell geräumt wurden (Entfernung von Schad- und Totholz, gegebenenfalls Bodenbearbeitung und Neubepflanzung), wird künftig natürlichen Prozessen Raum gegeben (Sukzession). Dieser Prozess kann, wo erforderlich, durch unterstützende, kleinteilig abgestimmte Maßnahmen gefördert werden (siehe Leitlinien 3 und 4).

Leitlinie 6: Die biologische Vielfalt wird gefördert und die Vernetzung von Waldlebens- sowie Landschaftsräumen verbessert.

Es wird oft unterschätzt, wie entscheidend Artenvielfalt für die Stabilität der Waldökosysteme ist; sie erhöht maßgeblich die Anpassungsmöglichkeit an sich verändernde Klimabedingungen. Biodiversität umfasst drei Ebenen: Erstens eine natürliche Vielfalt von Arten, neben Bäumen auch eine unübersehbare Zahl an Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen. Zweitens auch eine Vielzahl an genetischen Typen (Genotypen) unterhalb der Artebene; ganz besonders wichtig ist eine hohe Vielfalt an lokal angepassten Genotypen der Baumarten. Drittens zählt zur Biodiversität eine Vielfalt an standortangepassten Waldökosystemen, also eine Vielzahl als „Systemen im System“, z.B. unterschiedliche Waldgesellschaften und Ökosysteme von Sonderstandorten. Wichtig ist hinsichtlich der Biodiversität nicht eine möglichst große Zahl an Arten, sondern das Vorkommen von solchen, die für das natürliche lokale Ökosystem Wald am jeweiligen Standort typisch sind. Dazu braucht es eine Vernetzung von Wäldern mit ausreichenden Korridoren mit Wanderungsmöglichkeit für Arten.

Handlungsempfehlungen:

6.1 Es werden mehr Habitatbäume ausgezeichnet und als solche geschützt; Zielgröße sind 15 Habitatbäume/ha.

6.2 So lange der derzeitige Mangel an Habitatbäumen/Baumhöhlen noch nicht behoben ist, sollten künstliche, sichere Nistmöglichkeiten für Fledermäuse, Singvögel und Eulen angelegt werden.

6.3 Fällungen, Pflege, Läuterungen und Durchforstungen erfolgen nur ausnahmsweise (siehe 1.1 und 1.2) und außerhalb der Brut- und Setzzeit.

6.4 Es gibt keinen Einsatz von Pestiziden, gemäß Nr. 19 des Maßnahmenprogramms „25 Schritte zur biologischen Vielfalt“ (2013). Wo nötig und sinnvoll, ist der Einsatz von biologischen Bekämpfungsmethoden zulässig.

6.5 Die Mahd von Wegrändern soll auf ein Mindestmaß reduziert werden.

6.6 Lebensräume für besondere Arten (z.B. Rote-Liste-Arten) sollen auch außerhalb gesetzlich definierter Schutzgebiete erhalten und gepflegt werden.

6.7 Mit dem Ziel der räumlichen Vernetzung von Waldökosystemen wird ein Biotopverbundkonzept etabliert und Fragmentierungen von Wäldern werden, wo möglich, zumindest punktuell überbrückt.

Leitlinie 7: Wassermanagement und Grundwasserneubildung

Die Grundwasserstände im hessischen Ried sind problematisch niedrig und oft unterhalb der Reichweite (Grenzflurabstand) der Baumwurzeln im Gemeindewald. Auch wenn in dieser Situation der Grundwasserstand für den Gemeindewald eine vernachlässigbare Rolle spielen, verhält es sich umgekehrt anders: Ob Wasser aus Regen und fließenden Gewässern im Waldboden versickert (Infiltration), hängt auch von der Waldmanagementstrategie ab. Ziel der Strategie muss auch sein, die Wasserhaltekraft (die sogenannte Feldkapazität) zu erhöhen. Naturnah bewirtschaftete Wälder reichern ihren Oberboden kontinuierlich mit Humus an und erreichen dadurch ein Optimum an Wasserspeicherfähigkeit. Um einer weiteren Grundwasserabsenkung entgegenzuwirken, ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:

7.1 Regenwasser zurückhalten und zur Versickerung (Infiltration) bringen, soweit möglich. Insbesondere eventuelle Entwässerungseinrichtungen im Wald (z.B. Gräben) werden verschlossen, um das Ökosystem nicht noch zusätzlich zu entwässern; Rückegassen entwässern ebenfalls und sind auch vor diesem Hintergrund auf ein unbedingt nötiges Minimum zu reduzieren.

7.2 Förderung von Infiltration begünstigenden Baumarten (unter Laubbaumarten, v.a. Buche ist sie bis zu 30% höher als unter Nadelbäumen). Einige Baumarten (etwa Douglasie) nehmen mehr Wasser auf als andere heimische Baumarten anstatt es für die Infiltration in den Boden durchzulassen, und sind daher ungeeignet. 

7.3 Totholz speichert Wasser wie ein Schwamm. Totholz sollte gezielt eingesetzt werden, um Wasser im Wald zu speichern. 

7.4 Möglichkeiten der Infiltration aus Kläranlagen sollten in Zusammenarbeit mit ausgewiesenen ExpertInnen geprüft werden. 

Leitlinie 8: Förderung der Beziehung der BürgerInnen zum Wald und der Umweltbildung

Die Menschen brauchen eine engere Beziehung zum Wald und mehr Wissen darüber, um ihre Bindung zu und ihr Engagement für den Wald zu bestärken. Bindung zum und Bildung über den Wald sind nötig, damit sich insgesamt mehr BürgerInnen für den Wald einsetzen, denn nur dann kann die Verwirklichung dieses Leitbildes gelingen. Folgende Handlungen seien dafür empfohlen:

8.1 Die Erschließung des Gemeindewaldes zum Beispiel mit Waldlehr- und Erlebnispfaden, die Kennzeichnung besonderer Bäume, Abteilungsschilder mit Flurnamen oder Wegebezeichnungen sollte gefördert werden. Schulen und Kindergärten sollten eingebunden werden.

8.2 Eine erholungsorientierte Besucherlenkung trägt nicht „nur“ zum Naturschutz bei, sondern fördert auch den Naturgenuss.

8.3 Die Benutzung des Waldes geschieht grundsätzlich auf eigene Gefahr (daraus erfolgt eine Reduzierung von Verkehrssicherungmaßnahmen auf ein absolut nötiges Minimum). Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren, über die BesucherInnen verstärkt und gezielt aufgeklärt und gebildet werden sollen.

8.4 Generell sollen moderne Angebote der Waldpädagogik (z.B. im Rahmen von VHS-Kursen) für alle Generationen das Informationsbedürfnis der Bevölkerung erfüllen und dazu beitragen, das Wissen rund um den Wald zu stärken und die Wertschätzung des Gemeindewaldes zu fördern.

Leitlinie 9: Künftig mehr Bodenschutz

Der Bodenschutz muss vorrangiges Ziel einer jeden Waldmanagementstrategie sein, denn der Boden ist das Fundament eines jeden Waldes. Zu einem naturnahen Wald gehören vom Menschen nicht beeinträchtigte Böden, die von waldtypischen Bodenlebewesen durchsetzt sind. 

Für den Bodenschutz ergeben sich dringende Handlungsempfehlungen:

9.1 Es erfolgt keine Befahrung mit Maschinen abseits bestehender Wege und (bereits in bestehendem Kartenwerk verzeichneter) Rückegassen, da sie den Boden auf lange Zeit stark schädigt: Das Mykorrhiza-Pilzgeflecht wird geschädigt/zerstört, das Wasserspeichervermögen herabgesetzt, Schad- und Stickstoff-Gehalte werden erhöht.

9.2 Neue Rückegassen werden nicht angelegt. Gassen, die einen Mindestabstand von 40 Metern unterschreiten, werden stillgelegt.

9.3 In einzelnen Ausnahmefällen, wenn die Entnahme aus dem Bestand zwingend erforderlich (Verkehrssicherung) und (z. B. aus Arbeitsschutzgründen) nicht anders möglich ist, kann der Maschinen-Einsatz zugelassen werden. Auch dann ist die Befahrung gering zu halten und bodenschonende Verfahren/Zeitpunkte zu wählen.

9.4 Es sollte ein nachhaltiges Konzept für die Bodenschonung entwickelt werden. Wenn möglich, sind Alternativen zum Maschineneinsatz zu bevorzugen, etwa das Rücken mit Pferden oder Seilwinden. 

9.5 Eventuelle Entwässerungseinrichtungen im Wald (z.B. Gräben) werden verschlossen, um das Ökosystem nicht zu entwässern 

Leitlinie 10: Umsetzung, Einbindung und Begleitung

Die Datenbasis muss über die Daten der Forsteinrichtung hinaus erweitert werden. Insbesondere zu Leitlinien 3 und 4 müssen möglichst zeitnah fundierte Daten erhoben werden und in die Umsetzung eingeleitet, aber auch alle andere Leitlinien müssen durch systematische Datenerfassung weiter konkretisiert, umgesetzt und fortentwickelt werden.

Folgende Handlungsempfehlungen ergeben sich:

10.1 Es erfolgt eine regelmäßige Erhebung von Daten, die notwendig sind, die Umsetzung und ggf. Anpassung des Leitbilds zu messen.

10.2 Bei Unsicherheiten sollte die experimentelle Erprobung verschiedener Vorgehensweisen erwogen und nach wissenschaftlichen Standards umgesetzt werden, insofern der Aufwand dafür vertretbar und angemessen ist.

10.3 Der NABU Seeheim-Jugenheim wird stetig eingebunden, nimmt beratend an den Gemeindewald betreffenden Gremien und Sitzungen teil und unterstützt die Verantwortlichen bei der Erarbeitung konkreter Maßnahmen des Waldökosystem-Managements.

10.4 Weitere ExpertInnen werden bei Bedarf hinzugezogen.

10.5 Forstarbeiten sind nicht an externe Unternehmer zu vergeben.

1 Die Leitlinien und Handlungsempfehlungen basieren auf dem “Bericht des Runden Tisches zum Stadtwald Darmstadt” (2020; zu finden unter anderem hier: https://www.darmstadt.de/fileadmin/PDF-Rubriken/Leben_in_Darmstadt/Stadtgruen/Forsten__Biotopschutz__Stadtbaeume/Bericht_Runder_Tisch_Wald_2021-01-05.pdf )

Mrz 062022
 

Im nach PEFC-Standard zertifizierten Gemeindewald Bickenbach fanden zuletzt Forstarbeiten statt, die uns Anwohner und Spaziergänger besorgt gemeldet haben: Es sehe dort wüst aus, und die Arbeiten hinterlassen starke Schäden an Waldboden, Bäumen und Büschen – die hiesige Flora und Fauna werde äußerst in Mitleidenschaft gezogen. Auf Rückfrage teilte die Revierforstleitung einer im NABU aktiven Anwohnerin mit, dort werde schonend gearbeitet, nur alte Schneisen würden befahren und nur abgestorbene Kiefern entnommen.

Bei darauf folgenden Begehungen von Seiten des NABU Seeheim-Jugenheim stellte sich ein von dieser Schilderung deutlich abweichendes Bild dar: Der Wald machte nicht nur optisch einen völlig desolaten Eindruck – pfleglicher oder schonender Umgang war nicht erkennbar – es deutete auch alles darauf hin, dass bei den Forstarbeiten gegen PEFC-Richtlinien verstoßen wurde.

Rückegassen

Jeder Eingriff in den Waldboden stellt eine Schwächung des Ökosystems Wald dar. Je mehr Bodenverdichtung durch Maschinen, umso weniger Wasser und Nährstoffe kann der Waldboden speichern. Wasser kann hier nicht mehr in den Boden eindringen, die Durchwurzelung ist gestört und das sensible Mykorrhizanetzwerk, das die Versorgung der Bäume untereinander mit Wasser und Nährstoffen regelt, wird zerstört. Es entweichen an diesen Stellen klimaschädliche Gase wie Methan und Lachgas. Der Waldboden wird sich je nach Verdichtungsgrad für Jahrzehnte bis Jahrhunderte nicht mehr regenerieren können, da seine typischen Bodeneinschaften verlorengegangen sind. Aus diesem Grunde ist die Befahrung von Waldböden in den PEFC-Richtlinien geregelt.

Der PEFC-Standard fordert: „Systematische Feinerschließungssysteme sollten wie folgt angelegt werden:
a) Rückegassen sollten möglichst geradlinig und parallel zueinander angelegt werden.“
In Richtlinie 2.5 wird  festgelegt: „Flächiges Befahren wird grundsätzlich unterlassen. Es wird ein dauerhaftes Feinerschließungsnetz aufgebaut, das einem wald- und bodenschonenden Maschineneinsatz Rechnung trägt. Der Rückegassenabstand beträgt grundsätzlich mindestens 20 m. Bei verdichtungsempfindlichen Böden werden größere Abstände angestrebt.“

Bei Bickenbach beobachtet man demgegenüber Abweichendes bis Gegenteiliges:

Rückeplatz statt Rückegassen
Übermäßige Bodenschäden durch unsystematische Anlage der Rückegassen
Rückegassen mit mehreren Gassenarmen
In mehrere Richtungen verzweigte Rückegassen
  • In einem der beiden Waldstücke verlaufen die Rückegassen nicht systematisch, wie durch PEFC-Richtlinien gefordert, sondern teils im Bogen, quadratisch oder deltaförmig (Kreuzungen mit drei und mehr Gassenarmen).
  • An mehreren Stellen ist abseits der Gassen in den Bestand gefahren worden.
  • An anderen Stellen verlaufen die Gassen zwar parallel in einem Rastersystem, die Abstände sind jedoch sehr unregelmäßig und unterschreiten mehrmals den vom PEFC-Standard vorgeschriebenen Mindestwert von 20 Metern: Eine übermäßige und unnötige Bodenverdichtung und eine starke Schwächung des Waldes.

Rückegassenchaos
  • Mehrere Gassen verlaufen im Abstand von 10 bis 20 Metern parallel zu Straßen oder Waldwegen!
  • Viele Gassen sind nicht als solche gekennzeichnet – auch das ein Verstoß gegen PEFC-Richtlinien.
Rückegasse unmittelbar neben dem Waldweg
Alte Wuchshüllen müssen entsorgt werden

Wuchshüllen

Im PEFC-Standard steht eindeutig:

„2.8 Zum Schutz des Waldökosystems vor
Kunststoffrückständen wird der Einsatz von Produkten aus erdölbasierten Materialien wie Wuchshüllen, Fege-/Verbiss-/Schälschutz und Markierungsbändern möglichst vermieden. Soweit am Markt verfügbar und wirtschaftlich zumutbar, sollten Produkte verwendet werden, deren Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen stammen. Nicht mehr
funktionsfähige Wuchshüllen und solche, die ihren
Verwendungszweck erfüllt haben, werden aus dem Wald
entnommen und fachgerecht entsorgt.“

In der Fläche in Ortsnähe befinden sich jedoch einige nicht mehr benötigte Plastikschutzhüllen auf dem Waldboden.

Fäll- und Rückeschäden

Eine weitere Problematik, die wir hier wie andernorts nahezu immer beobachten: Fäll- und Rückeschäden am Bestand. Jede Schädigung bedeutet eine Schwächung des Baumes. Pilze und Baktererien können durch die Wunden eindringen, ihn krank machen und wirtschaftlich entwerten.

Wir sehen, dass sehr viel Jungwuchs standortgerechter Baumarten zerstört oder beschädigt wurde und dass Bäume mittleren Alters durch Maschinen beschädigt wurden (Schrammen an der Rinde, abgebrochene Äste, etc.).

Geschwächter Bestand durch Fällschäden
Jungwuchs von heimischen Baumarten wurde zerstört
(ein Kirschbaum links im Bild)
Von Forstmaschinen gezeichnete junge Buchen

Biotopbäume

Es sind wenige bis gar keine Biotopbäume (Habitatbäume) ausgezeichnet. Wir können das zwar nicht abschließend feststellen, uns ist aber kein einziger aufgefallen.

Halbwahrheiten

Die Revierleitung ließ verlauten, es wären ausschließlich abgestorbene Kiefern gefällt worden, was unserer Beobachtung nach nicht der Wahrheit entspricht. Liegengebliebenes Kronenmaterial wirkt (ehemals) vital, und am Wegesrand finden sich auch Holzstapel mit unserem Eindruck nach völlig gesunden Kiefern (und auch anderen Baumarten wie etwa Birken). Zwar ist der Großteil durchaus „Käferholz“ und/oder anderweitig geschädigt. Das wenigste wäre aber relevant in Bezug auf die Verkehrssicherungspflicht, weil die Fäll- und Erntemaßnahmen überwiegend weitab von Wegen und Straßen durchgeführt wurden. Die Bäume stehen zu lassen, hätte der folgenden Waldgeneration sehr gut in Form stehenden und liegenden Totholzes als Startkapital, Sonnen-, Wind- und natürlicher Verbiss-Schutz dienen können.

Wir finden den Umgang mit diesen beiden Waldgebieten, die nur exemplarisch für weite Teile der Wälder in der Umgebung stehen, Besorgnis erregend und auch relevant für eine Prüfung durch PEFC.

Klimakrise im heimischen Wald

Die entscheidende Frage ist: Wird dieser Wald nach den Eingriffen besser gewappnet sein, um im Klimawandel zu bestehen?
Wir können diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Er wurde durch die Eingriffe massiv in seiner Regenerationsfähigkeit geschwächt. Das Gebiet weist zusätzlich zu Boden- und Bestandesschäden eine massive Auflichtung des Kronendachs auf, was das Waldinnenklima nachhaltig stört. Hitzestress und Trockenheit schwächen den Wald und führen zu weiteren „erforderlichen“ Maßnahmen – eine verhängnisvolle Abwärtsspirale der Walddegeneration.
Solche Umgehensweisen mit unseren Wäldern sind in Zeiten von Klimawandel, Wald- und Artensterben nicht mehr tolerierbar. Die Gemeinde Bickenbach steht in der Verantwortung, ihre Wälder vor schädigenden Eingriffen zu schützen und einen pfleglichen Umgang mit ihnen einzufordern.

Welche Prioritäten hat die Forsteinrichtung der Gemeinde Bickenbach für ihre Wälder festgelegt?

In der Forsteinrichtung der Gemeinde Bickenbach ist festgelegt: „Der Gemeindewald spielt für die Erholung der Bevölkerung eine überragende Bedeutung“. Wir können nicht erkennen, dass dieser hier formulierten Funktion des Waldes als Erholungswald Rechnung getragen wurde.
Die Klimaschutzfunktion erhält in der Forsteinrichtung eine hohe Bedeutung. „In der Rhein-Main-Ebene ist die Klimaschutzfunktion des Waldes von hoher Bedeutung“. Die übermäßigen Eingriffe in Waldboden (Wasserspeicher) und Kronendach sind mit der Forsteinrichtung nicht vereinbar.
Die Holzproduktion ist der Schutz- und Erholungsfunktion in der Forsteinrichtung eindeutig nachgeordnet. Sie darf nicht der Grund sein, dass es dem Wald schlechter geht als vorher, sodass er in der Wahrnehmung seiner wichtigsten Funktionen gestört ist.

In dem am 26.2.2022 im Darmstädter Echo erschienenen Artikel „Bickenbach plant Wiederaufforstung“ wird der Bürgermeister von Bickenbach Herr Hennemann folgendermaßen zitiiert: „Wir handeln hier zusammen mit Hessen Forst verantwortlich im Spannungsfeld zwischen Baumerhalt und der Unversehrtheit der Menschen“. Dieses verantwortliche Handeln ist für uns nicht erkennbar.
Eine Aufforstung wurde erst dadurch „nötig“ gemacht, dass zuvor eine wenig vorausschauende Holzernte durchgeführt wurde, mit dramatischen Folgen für die Regenerationsfähigkeit des Waldes. Das Einbringen von klimaresistenten Baumarten wäre auf schonende Weise möglich gewesen.
Wir hatten die Gemeinde als Waldbesitzer und die Revierleitung um eine Stellungnahme zu unseren Beobachtungen bis zum 2.3.2022 gebeten, aber bislang keine bekommen. Stattdessen findet in der Lokalpresse Öffentlichkeitsarbeit statt, der wir hiermit fundiert und belegt widersprechen.

Die Gemeinde Bickenbach vertreibt ihr Holz über den „Holzkontor Darmstadt-Dieburg-Offenbach AöR“, der auf der Webseite angegeben hatte, dass der Bickenbacher Wald sowohl PEFC- als auch FSC-zertifiziert ist. Aufgrund dieser Information sind wir zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unseres Artikels (6.3.2022) davon ausgegangen, dass die Bickenbacher Wälder FSC-zertifiziert sind (siehe Screenshot). Wie wir gesehen haben, wurde diese Angabe Stand heute (14.3.2022) entfernt. Wir haben unseren Artikel entsprechend geändert.

Mrz 152019
 

Am Freitag, dem 15. März 2019 protestierten Schülerinnen und Schüler in 1.200 Städten und 92 Ländern während der Schulzeit. Auch Darmstadt war wieder dabei. Nach Angaben der Polizei haben 1.800 Personen an dem Protest teilgenommen, auch Teile der Feuersalamandergruppe waren mit dabei. Die Stimmung war gut und die Organisation besser als beim letzten Mal. Mit Megafonen und Lautsprechern wurde die Menge koordiniert, sodass auf der längeren Tour durch Darmstadt, bei der mehrere große Straßen gesperrt und die Kreuzungen auch mal geblockt wurden, ausgelassen gerufen wurde. Auch mit vielen unterschiedlichen Plakaten wurde dem Ärger über die Klimapolitik Ausdruck verliehen.

Blockaden von Kreuzungen
Blockaden von Kreuzungen


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