Mrz 062022
 

Im nach PEFC-Standard zertifizierten Gemeindewald Bickenbach fanden zuletzt Forstarbeiten statt, die uns Anwohner und Spaziergänger besorgt gemeldet haben: Es sehe dort wüst aus, und die Arbeiten hinterlassen starke Schäden an Waldboden, Bäumen und Büschen – die hiesige Flora und Fauna werde äußerst in Mitleidenschaft gezogen. Auf Rückfrage teilte die Revierforstleitung einer im NABU aktiven Anwohnerin mit, dort werde schonend gearbeitet, nur alte Schneisen würden befahren und nur abgestorbene Kiefern entnommen.

Bei darauf folgenden Begehungen von Seiten des NABU Seeheim-Jugenheim stellte sich ein von dieser Schilderung deutlich abweichendes Bild dar: Der Wald machte nicht nur optisch einen völlig desolaten Eindruck – pfleglicher oder schonender Umgang war nicht erkennbar – es deutete auch alles darauf hin, dass bei den Forstarbeiten gegen PEFC-Richtlinien verstoßen wurde.

Rückegassen

Jeder Eingriff in den Waldboden stellt eine Schwächung des Ökosystems Wald dar. Je mehr Bodenverdichtung durch Maschinen, umso weniger Wasser und Nährstoffe kann der Waldboden speichern. Wasser kann hier nicht mehr in den Boden eindringen, die Durchwurzelung ist gestört und das sensible Mykorrhizanetzwerk, das die Versorgung der Bäume untereinander mit Wasser und Nährstoffen regelt, wird zerstört. Es entweichen an diesen Stellen klimaschädliche Gase wie Methan und Lachgas. Der Waldboden wird sich je nach Verdichtungsgrad für Jahrzehnte bis Jahrhunderte nicht mehr regenerieren können, da seine typischen Bodeneinschaften verlorengegangen sind. Aus diesem Grunde ist die Befahrung von Waldböden in den PEFC-Richtlinien geregelt.

Der PEFC-Standard fordert: „Systematische Feinerschließungssysteme sollten wie folgt angelegt werden:
a) Rückegassen sollten möglichst geradlinig und parallel zueinander angelegt werden.“
In Richtlinie 2.5 wird  festgelegt: „Flächiges Befahren wird grundsätzlich unterlassen. Es wird ein dauerhaftes Feinerschließungsnetz aufgebaut, das einem wald- und bodenschonenden Maschineneinsatz Rechnung trägt. Der Rückegassenabstand beträgt grundsätzlich mindestens 20 m. Bei verdichtungsempfindlichen Böden werden größere Abstände angestrebt.“

Bei Bickenbach beobachtet man demgegenüber Abweichendes bis Gegenteiliges:

Rückeplatz statt Rückegassen
Übermäßige Bodenschäden durch unsystematische Anlage der Rückegassen
Rückegassen mit mehreren Gassenarmen
In mehrere Richtungen verzweigte Rückegassen
  • In einem der beiden Waldstücke verlaufen die Rückegassen nicht systematisch, wie durch PEFC-Richtlinien gefordert, sondern teils im Bogen, quadratisch oder deltaförmig (Kreuzungen mit drei und mehr Gassenarmen).
  • An mehreren Stellen ist abseits der Gassen in den Bestand gefahren worden.
  • An anderen Stellen verlaufen die Gassen zwar parallel in einem Rastersystem, die Abstände sind jedoch sehr unregelmäßig und unterschreiten mehrmals den vom PEFC-Standard vorgeschriebenen Mindestwert von 20 Metern: Eine übermäßige und unnötige Bodenverdichtung und eine starke Schwächung des Waldes.

Rückegassenchaos
  • Mehrere Gassen verlaufen im Abstand von 10 bis 20 Metern parallel zu Straßen oder Waldwegen!
  • Viele Gassen sind nicht als solche gekennzeichnet – auch das ein Verstoß gegen PEFC-Richtlinien.
Rückegasse unmittelbar neben dem Waldweg
Alte Wuchshüllen müssen entsorgt werden

Wuchshüllen

Im PEFC-Standard steht eindeutig:

„2.8 Zum Schutz des Waldökosystems vor
Kunststoffrückständen wird der Einsatz von Produkten aus erdölbasierten Materialien wie Wuchshüllen, Fege-/Verbiss-/Schälschutz und Markierungsbändern möglichst vermieden. Soweit am Markt verfügbar und wirtschaftlich zumutbar, sollten Produkte verwendet werden, deren Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen stammen. Nicht mehr
funktionsfähige Wuchshüllen und solche, die ihren
Verwendungszweck erfüllt haben, werden aus dem Wald
entnommen und fachgerecht entsorgt.“

In der Fläche in Ortsnähe befinden sich jedoch einige nicht mehr benötigte Plastikschutzhüllen auf dem Waldboden.

Fäll- und Rückeschäden

Eine weitere Problematik, die wir hier wie andernorts nahezu immer beobachten: Fäll- und Rückeschäden am Bestand. Jede Schädigung bedeutet eine Schwächung des Baumes. Pilze und Baktererien können durch die Wunden eindringen, ihn krank machen und wirtschaftlich entwerten.

Wir sehen, dass sehr viel Jungwuchs standortgerechter Baumarten zerstört oder beschädigt wurde und dass Bäume mittleren Alters durch Maschinen beschädigt wurden (Schrammen an der Rinde, abgebrochene Äste, etc.).

Geschwächter Bestand durch Fällschäden
Jungwuchs von heimischen Baumarten wurde zerstört
(ein Kirschbaum links im Bild)
Von Forstmaschinen gezeichnete junge Buchen

Biotopbäume

Es sind wenige bis gar keine Biotopbäume (Habitatbäume) ausgezeichnet. Wir können das zwar nicht abschließend feststellen, uns ist aber kein einziger aufgefallen.

Halbwahrheiten

Die Revierleitung ließ verlauten, es wären ausschließlich abgestorbene Kiefern gefällt worden, was unserer Beobachtung nach nicht der Wahrheit entspricht. Liegengebliebenes Kronenmaterial wirkt (ehemals) vital, und am Wegesrand finden sich auch Holzstapel mit unserem Eindruck nach völlig gesunden Kiefern (und auch anderen Baumarten wie etwa Birken). Zwar ist der Großteil durchaus „Käferholz“ und/oder anderweitig geschädigt. Das wenigste wäre aber relevant in Bezug auf die Verkehrssicherungspflicht, weil die Fäll- und Erntemaßnahmen überwiegend weitab von Wegen und Straßen durchgeführt wurden. Die Bäume stehen zu lassen, hätte der folgenden Waldgeneration sehr gut in Form stehenden und liegenden Totholzes als Startkapital, Sonnen-, Wind- und natürlicher Verbiss-Schutz dienen können.

Wir finden den Umgang mit diesen beiden Waldgebieten, die nur exemplarisch für weite Teile der Wälder in der Umgebung stehen, Besorgnis erregend und auch relevant für eine Prüfung durch PEFC.

Klimakrise im heimischen Wald

Die entscheidende Frage ist: Wird dieser Wald nach den Eingriffen besser gewappnet sein, um im Klimawandel zu bestehen?
Wir können diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Er wurde durch die Eingriffe massiv in seiner Regenerationsfähigkeit geschwächt. Das Gebiet weist zusätzlich zu Boden- und Bestandesschäden eine massive Auflichtung des Kronendachs auf, was das Waldinnenklima nachhaltig stört. Hitzestress und Trockenheit schwächen den Wald und führen zu weiteren „erforderlichen“ Maßnahmen – eine verhängnisvolle Abwärtsspirale der Walddegeneration.
Solche Umgehensweisen mit unseren Wäldern sind in Zeiten von Klimawandel, Wald- und Artensterben nicht mehr tolerierbar. Die Gemeinde Bickenbach steht in der Verantwortung, ihre Wälder vor schädigenden Eingriffen zu schützen und einen pfleglichen Umgang mit ihnen einzufordern.

Welche Prioritäten hat die Forsteinrichtung der Gemeinde Bickenbach für ihre Wälder festgelegt?

In der Forsteinrichtung der Gemeinde Bickenbach ist festgelegt: „Der Gemeindewald spielt für die Erholung der Bevölkerung eine überragende Bedeutung“. Wir können nicht erkennen, dass dieser hier formulierten Funktion des Waldes als Erholungswald Rechnung getragen wurde.
Die Klimaschutzfunktion erhält in der Forsteinrichtung eine hohe Bedeutung. „In der Rhein-Main-Ebene ist die Klimaschutzfunktion des Waldes von hoher Bedeutung“. Die übermäßigen Eingriffe in Waldboden (Wasserspeicher) und Kronendach sind mit der Forsteinrichtung nicht vereinbar.
Die Holzproduktion ist der Schutz- und Erholungsfunktion in der Forsteinrichtung eindeutig nachgeordnet. Sie darf nicht der Grund sein, dass es dem Wald schlechter geht als vorher, sodass er in der Wahrnehmung seiner wichtigsten Funktionen gestört ist.

In dem am 26.2.2022 im Darmstädter Echo erschienenen Artikel „Bickenbach plant Wiederaufforstung“ wird der Bürgermeister von Bickenbach Herr Hennemann folgendermaßen zitiiert: „Wir handeln hier zusammen mit Hessen Forst verantwortlich im Spannungsfeld zwischen Baumerhalt und der Unversehrtheit der Menschen“. Dieses verantwortliche Handeln ist für uns nicht erkennbar.
Eine Aufforstung wurde erst dadurch „nötig“ gemacht, dass zuvor eine wenig vorausschauende Holzernte durchgeführt wurde, mit dramatischen Folgen für die Regenerationsfähigkeit des Waldes. Das Einbringen von klimaresistenten Baumarten wäre auf schonende Weise möglich gewesen.
Wir hatten die Gemeinde als Waldbesitzer und die Revierleitung um eine Stellungnahme zu unseren Beobachtungen bis zum 2.3.2022 gebeten, aber bislang keine bekommen. Stattdessen findet in der Lokalpresse Öffentlichkeitsarbeit statt, der wir hiermit fundiert und belegt widersprechen.

Die Gemeinde Bickenbach vertreibt ihr Holz über den „Holzkontor Darmstadt-Dieburg-Offenbach AöR“, der auf der Webseite angegeben hatte, dass der Bickenbacher Wald sowohl PEFC- als auch FSC-zertifiziert ist. Aufgrund dieser Information sind wir zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unseres Artikels (6.3.2022) davon ausgegangen, dass die Bickenbacher Wälder FSC-zertifiziert sind (siehe Screenshot). Wie wir gesehen haben, wurde diese Angabe Stand heute (14.3.2022) entfernt. Wir haben unseren Artikel entsprechend geändert.

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