Die Landbachaue bei Bickenbach ist eines der artenreichsten Vogelschutzgebiete südlich Darmstadt, das sich insbesondere nach der Renaturierung im Jahr 2007 zu einem Kleinod für Naturliebhaber entwickelt hat. Das Gebiet ist ein beeindruckendes Beispiel für die Selbstheilungskräfte der Natur – wenn man sie denn lässt.
Sogar der Kiebitz, ein vor dreissig Jahren bei uns noch sehr häufiger und typischer Feldvogel im Ried, hatte hier im Jahr 2021 eine erfolgreiche Brut. Sorgfältig betreut von den ehrenamtlichen Helfern des NABU, denn der Kiebitz steht heute kurz vor dem lokalen Aussterben.
Aktuell erreichen den NABU besorgte Anfragen von Naturfreunden über ungewöhnliche Baggerarbeiten direkt südlich der Landbachaue. Nach Rückfragen handelt es sich um archäologische Voruntersuchungen. Nun kann erfahrungsgemäss davon ausgegangen werden, dass der Anlass solcher Untersuchungen sehr häufig eine geplante Bebauung ist. Eine Bestätigung, ob ein konkreter Bauantrag zur Entscheidung vorliegt, ist jedoch von den lokalen Behörden (UNB und Gemeindevorstand) aus Datenschutzgründen nicht zu erreichen.
Sich verdichtende Gerüchte führen zur Spekulation: in vergleichbaren Fällen hatten Landwirte – sich berufend auf ihre landwirtschaftlichen Privilegien im Baurecht – Scheunen, Stallanlagen und sogar Wohnhäuser errichtet. Leider tragen Landwirte immer wieder zum Problem der Zersiedlung im Aussengebiet bei, befeuern damit die Klimakrise und insbesondere die Krise der Artenvielfalt. Und leider fördert Intransparenz seitens der Behörden und die Ausnutzung von landwirtschaftlichen Privilegien Vorbehalte gegenüber Landwirten, was dem Ruf der Landwirtschaft ganz unnötig weiter schadet.
Im konkreten Fall befürchten Vogelschützer:innen des NABU einen fatalen Blockadeeffekt durch die in der Literatur gut belegte Scheuchwirkung von Bebauung auf Feldvögel. Beim Kiebitz werden bis zu 200m Vermeidungsverhalten gegenüber hohen Bauten angegeben. Dadurch schrumpft die für Feldvögel nutzbare Fläche. Ganz besonders bei verstreuter Bebauung aber ist der Blockadeeffekt enorm: eine Kette von Aussiedlerhöfen und Ställen wirkt dann wie eine Barriere. Leider werden additive und kumulative Effekte häufig in Umweltgutachten vernachlässigt, ganz zu schweigen von den generell vollkommen unzureichenden Ausgleichsmassnahmen. Keine guten Aussichten für Kiebitz und Rebhuhn.
Dokumentierte Vogelvorkommen im Gebiet nordwestlich Lindenhof/Weidhof und damit im unmittelbaren Bereich des möglichen Baugebietes – Stand Dezember 2021
Brutvogel im Gebiet: 30 Arten
Amsel
Blaumeise
Bluthänfling
Buchfink
Eichelhäher
Elster
Fedsperling
Feldlerche
Gartenbaumläufer
Goldammer
Goldammer
Grünfink
Hausrotschwanz
Haussperling
Heckenbraunelle
Kohmeise
Kolkrabe
Mäusebussard
Mehlschwalbe
Pirol
Rauchschwalbe
Ringeltaube
Rotkehlchen
Star
Stieglitz
Türkentaube
Turmfalke
Wiesenschafstelze
Zaunkönig
Zilpzalp
Häufig gesichtet: 16 Arten
Bachstelze
Braunkehlchen
Buntspecht
Dorngrasmücke
Graureiher
Grünspecht
Hohltaube
Jagdfasan
Rabenkrähe
Rotmilan
Schwarzkehlchen
Schwarzspecht
Silberreiher
Singdrossel
Sperber
Weißstorch
Saisonal/gelegentlich gesichtet: 21 Arten
Baumpieper
Bergfink
Bienenfresser
Dohle
Erlenzeisig
Gebirgsstelze
Höckerschwan
Kiebitz
Misteldrossel
Rebhuhn
Rohrammer
Rotdrossel
Schwanzmeise
Schwarzmilan
Sumpfmeise
Uferschwalbe
Wacholderdrossel
Waldohreule
Wanderfalke
Wiesenpieper
Von Ornithologen regelmässig auf Futtersuche bzw. auf dem Durchzug im unmittelbaren Umfeld beobachtet wurden Feldlerchen, in der Nähe des Pferdehofes auch Haubenlerchen, Goldammer und Bluthänfling. In der Koppel westlich des Pferdehofs sind auf den Zäunen immer wieder Schwarzkehlchen und vereinzelt auch Braunkehlchen zu sehen.
Sporadisch sind Kiebitze zu sehen, zuletzt am 11.12.2021. Für die letzten Rebhühner sind lineare Heckenstrukturen von hoher Bedeutung, hier konzentrieren sich auch die Bruten vieler Singvögel. Zunehmende Zersiedlung, praktisch immer verbunden mit dem Auftauchen von Haushund und Hauskatze, bedeutet das Aus für sensitive Arten der Feldflur.
Typischerweise werden durch zunehmende Zersiedlung „Allerweltsarten“ gefördert; Arten der Feldfluren und Arten mit hohen Ansprüchen an ihren Lebensraum verschwinden. Die dramatische Krise der Artenvielfalt wird hier exemplarisch sichtbar.
Nicht zu vergessen der Dominoeffekt: Bebauung zieht Bebauung nach sich. In ihrer brutalen Auswirkung zur Zeit in der Quelllache bei Hähnlein zu beobachten: auch hier hat ein Landwirt gemäss seiner landwirtschaftlichen Privilegien eine große Maschinenhalle errichtet – prompt wird diese Bebauung als Begründung herangezogen, dass der befürchtete Blockadeeffekt für die Wanderung von Pflanzen und Tieren ja längst vorhanden ist, weitere Bebauung also keinen weiteren Schaden verursacht.
Besonders ärgerlich im Fall der Bebauung südlich der Landbachaue: wenige hundert Meter westlich der möglicherweise geplanten Bebauung befindet sich eine Mitte des Jahres 2021 offenbar aufgegebene Schweinemastanlage eines lokalen Landwirts. Leider haben Landwirte zwar das Recht zur Errichtung landwirtschaftlicher Anlagen im Aussengebiet, aber nicht die Pflicht, diese auch wieder zu beseitigen nach Aufgabe der Bewirtschaftung. Auch diese Tatsache trägt zum fortschreitenden Flächenfraß im Aussengebiet bei, eröffnet aber auch gleichzeitig die Frage, wieso nicht vorhandene Versiegelungen konsequent umgenutzt werden, bevor die Versiegelung neuer Flächen auch nur geplant wird. Sollten sich die Spekulationen bewahrheiten, entstehen auch Fragen zum Flächenmanagement der Gemeinde Bickenbach: ungenutzte Bauruinen zeigen hier deutlich den Raum für Verbesserungen an.
Die Folgen von landwirtschaftlicher Privilegierung
Naturschützer befürchten, dass aufgrund der vorhandenen landwirtschaftlichen Privilegien bauliche irreversible Tatsachen geschaffen werden, ohne die Belange des Klimakrise und hier insbesondere der Biodiversität ausreichend zu berücksichtigen. Wie befürchtet, laufen die Prozesse weitgehend unterhalb des öffentlichen Rardars. Natürlich ist der Datenschutz ein hohes Gut – nur den sehen wir hier deutlich missbraucht.
Denn der Nutzen einer Baumassnahme kommt einer Person zugute, den Preis (mindestens in Verringerung der Ökosystemleistung) haben hier aber alle Bürger zu tragen. Und natürlich sehen wir direkte Verantwortlichkeit für Rebhuhn und Kiebitz bei den Entscheidern. Wir befürchten, der Gemeindevorstand wird hier seiner Verantwortung nicht gerecht – schon dadurch nicht, wenn Bemühungen zu Alternativlösungn (Nutzung vorhandener Versiegelung) nicht transparent werden, ebensowenig wie die Verantwortung zum Erhalt wichtiger Naturräume, die ja auch der Erholung von Menschen dienen.
Letztlich ist die scheinbar unaufhaltsame Zersiedlung eine politische Frage. Entsprechend sollte das Problem öffentlich als solches benannt und nach Wegen gesucht werden, weitere Versiegelung zu vermeiden oder wenigstens so zu lenken, dass ein echter Ausgleich mit dem Ziel der lokalen Erhaltung bestimmter Arten möglich wird. Das Thema Versiegelung/Privilegierung wird ja akut sichtbar zum Beispiel beim Thema Folientunnel: der Erhalt von typischen konkreten Zeigerarten wie Kiebitz, Rebhuhn oder Feldlerche ist unmöglich zu treffen im Rahmen einer Einzelentscheidung. Wir müssen einfach weg von der Einzelentscheidung, hin zu einem eher strategischen Vorgehen.
Ein naheliegender Ausweg für eine nachhaltigere Form von Landwirtschaft wäre ein klar mit den örtlichen Landwirten abgestimmtes strategisches Konzept, an welcher Stelle Versiegelungen wie Folientunnel akzeptiert werden unter Zusammenlegung der notwendigen Ausgleichsmassnahmen für definierte Zielarten. Das führt per definition zu Ausschlussgebieten für weiteren Infrastrukturausbau in besonders sensitiven Bereichen. Ohne ein solches strategisches Konzept besteht schlicht keine Möglichkeit mehr, bestimmte Arten lokal zu erhalten.
Der NABU steht für Ausarbeitung für ein konkretes Arterhaltungskonzept sehr gerne zur Verfügung und wir sehen hier eine akute Dringlichkeit.
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