Jan 042024
 

Artenvielfalt im Wald mit Minimalaufwand

Ein Stück ehemaliges Ackerland in der Gemarkung Malchen (Gemeinde Seeheim-Jugenheim) ist als Wald ausgewiesen und soll als Pilotprojektfläche für naturnahe Waldwirtschaft und Förderung der Artenvielfalt genutzt werden. Die AG Wald des NABU Seeheim-Jugenheim möchte auf der Fläche in einem Pilotprojekt demonstrieren, dass sich Artenvielfalt und ein klimastabiler Naturwald mit geringem Aufwand realisieren lassen.

Die Gegebenheiten auf der Projektfläche

Bei der Projektfläche handelt es sich um zwei in Nord-Süd-Richtung nebeneinander liegende Flurflächen nördlich von Malchen: 

Blau hinterlegt die Projektfläche auf Flur Nr. 127/2 (1763 Quadratmeter; 12 m x 146,92 m) und Flur Nr. 127/3 (1762 Quadratmeter; 10 m x 176,20 m)

Diese 3.525 Quadratmeter (0,35 ha) weisen eine leichte West-Neigung auf und neigen mäßig bis stark zu Trockenheit. Sie wurden seit 60 Jahren nicht mehr bewirtschaftet und sind entsprechend dicht bewachsen. Die Hauptbaumart ist die Kiefer, von der nach den Trockenjahren seit 2018 die meisten Exemplare abgestorben sind bzw. sich im Abgang befinden. Es befindet sich dementsprechend viel stehendes und liegendes Totholz in der Fläche. Darüber wachsen vor allem Brombeeren und Sträucher wie Holunder, Liguster, Weißdorn, Schwarzdorn, Hundsrose und Alpenjohannisbeere. Aber auch Bäume wie Spitzahorn, Bergahorn, Buche, Eiche, Wildkirsche und Steinweichsel konnten sich vereinzelt über Naturverjüngung bereits ansiedeln. Daher ist nur wenig Aufwand notwendig, um Artenvielfalt und die natürliche Waldverjüngung mit weiteren standortgerechten Baum- und Straucharten zu ergänzen. Die Fläche soll weitestgehend in Kooperation mit der Natur sich selbst überlassen bleiben. 

Demgegenüber bestünde die herkömmliche Praxis konventioneller Forstwirtschaft häufig darin, den geschädigten, standortfremden Kiefernoberstand zu entfernen, die Fläche maschinell zu räumen und eventuell sogar zu abzuschieben, bzw. zu mulchen. Das bisherige Wald-Ökosystem vor Ort wäre damit zerstört, viele Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen auf dem und im Boden sind tot oder vertrieben. Akkumulierter Humus wird vernichtet, und Erosion besorgt den Rest. In der Folge schaffen Hitze, Wind und Dürre ein neues, unwirtliches Klima, in dem auf lange Zeit kein Wald im herkömmlichen Sinne mehr wächst. Die Natur muss unter schwierigsten Bedingungen wieder von null anfangen, die wenigen künstlichen Pflanzungen helfen dabei kaum. Leider wird dieser Ansatz oft mit Steuermitteln subventioniert. 

Das Projekt

Unser Ansatz besteht stattdessen darin, das Ökosystem zu erhalten und lediglich punktuell zu ergänzen: Lokal ausgestorbene standortgerechte und trockenheitstolerante Baum- und Straucharten sollen in vier sogenannten Hordengattern eingebracht werden. Dabei handelt es sich um 4m × 4m große Holzgatter, die Pflanzungen gegen Wildverbiss und Verfegen schützen. In jedes 16-Quadratmeter-Gatter soll ein Jungbaum und bis zu neun Sträucher gepflanzt werden. Der Vorteil gegenüber Verbissschutz von einzelnen Pflanzen durch Wuchshüllen liegt in deutlich besseren Erfolgschancen für die Pflanzungen (Luft und Licht wie im Freistand anstatt von Hitze, Beengung, Trockenheit und ggf. Lichtverlust in Wuchshüllen). 

Hordengatter aus Holz mit Pflanzung
Einzelverbissschutz aus Draht

Ergänzend zu den vier Hordengattern werden einzelne lokal nicht vorkommende Baum- und Straucharten eingebracht und mit Drahtgeflecht geschützt, wodurch zwar eine gewisse Bedrängung und Verschattung durch konkurrierende Vegetation zu erwarten ist, aber auch wesentlich bessere Wuchs-Chancen als mit den in der konventionellen Forstwirtschaft üblichen Plastikhülsen. 

Zum Dritten werden wir auch durch eine Aussaat einheimische Baum- und Straucharten einbringen, denn gegenüber der Pflanzung von Setzlingen bringt die Saat entscheidende Vorteile. So sind Keimlinge in der Regel deutlich vitaler und wuchsfreudiger als Setzlinge, sind sie doch von Beginn an mit dem Mikroklima vor Ort vertraut, und ihre Wurzelbildung wird nie unterbrochen.

“Und was ist das Ziel?”

Es ist schwierig bis unmöglich, eine “Zielwaldgesellschaft” vorherzusagen oder gar zu planen. Wir können mit diesem Ansatz nur einige wenige neue Optionen eröffnen, indem wir das Ökosystem mit Arten ergänzend unterstützen, die weniger beweglich sind, sich daher kaum verbreiten und vor Ort nicht von allein auftreten werden. Das Ziel kann insofern also nur konsequenter Walderhalt und Akzeptanz der Gegebenheiten durch natürlich vorkommende und neu angesiedelte Arten sein. Erreichen wir dies mit vergleichsweise minimalen Investitionen, ist damit unter den erwartbaren Bedingungen schon sehr viel gewonnen.

Das Projekt soll gezielt begleitet werden, um umfänglich Text-, Bild- und ggf. Videomaterial zu produzieren, das dem Charakter als Pilotprojekt gerecht wird. Wir werden also weiter berichten, auch auf Social Media (Facebook, Instagram, Youtube). Weitere Kommunikationskanäle (etwa Begehungen, Beratung, Vorträge) können bei Bedarf erschlossen werden. Ziel ist darüber hinaus, vielfältige praktische Erfahrungen auf kleiner Fläche mit einer extensiven Waldbewirtschaftung im Sinne des Naturschutz zu sammeln und eine Referenzfläche zu schaffen. Insbesondere sollen auch bei zu erwartenden Dürrezeiten keine Gießaktionen erfolgen, denn es soll Erfahrung gesammelt werden, welche trockenheitstoleranten Arten/Individuen sich auch bei zu erwartenden Dürrezeiten durchsetzen und halten können. Das Areal wird ein Anschauungsobjekt etwa für Spaziergänger, Kindergruppen aus dem nahegelegenen Wald-Kindergarten und vor allem auch – so die Hoffnung – für weitere private und öffentliche/kommunale WaldbesitzerInnen. 

Gepflanzt werden sollen folgende Arten

  • Bäume
    • Winterlinde
    • Flaumeiche
    • Feldulme
    • Stechpalme 
    • Speierling 
    • Elsbeere
    • Mehlbeere
  • Sträucher:
    • Berberitze
    • Faulbaum
    • Wolliger Schneeball 
    • Kreuzdorn
    • Haselnuß

Erste Arbeiten

Letzte Woche haben wir damit angefangen, die Kleinflächen für die vier Hordengatter frei zu schneiden. Dafür hatten wir heftig mit dornigem Gestrüpp zu kämpfen. Da die vorhandene Vegetation ebenso wie liegendes Totholz als Schutz vor Rehwild dient, wird es nur dort zurückgedrängt und auf die Seite geräumt, wo es unbedingt notwendig ist, um im nächsten Schritt dort arbeiten zu können. Geschnittenes Totholz bleibt auf der Fläche und wird später zum Abdichten der Drahtzäune mit dem Boden verwendet. Außerdem haben wir den Weg am oberen Rand des Gebiets von einigen umgefallenen Kiefern geräumt, so dass das Gelände leicht und sicher begangen und bearbeitet werden kann.  

Artenvielfalt ist schon vor Ort und muss erhalten werden: Der Dunkelblaue Laufkäfer (Carabus intricatus) steht auf der roten Liste gefährdeter Arten, u.a. weil sein Lebensraum – totholzreiche Wälder – immer seltener wird.  

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