WALDÖKOSYSTEME IN DER KLIMAKRISE – STRESSFAKTOREN UND WALDÖKOSYSTEMMANAGEMENT
Vortrag von Dr. Christian Storm, Vegetationsökologe an der TU Darmstadt (Fachbereich Biologie)
Dr. Christian Storm war maßgeblich am „Runden Tisch Wald“ der Stadt Darmstadt beteiligt, wo Yvonne Albe ihn kennenlernen und einladen konnte, seine dort vorgetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch bei uns an der Bergstraße zu präsentieren. Zusammen mit dem Netzwerk Bergsträßer Wald haben wir diesen Vortrag für den 27.11. organisiert und unter Einhaltung der 2G-Regel in der Bürgerhalle Malchen durchgeführt. Gut 30 interessierte Bürger:innen sowie Vertreter:innen von Lokalpolitik und Presse konnten während der gut zweistündigen Veranstaltung tiefe Einblicke ins Ökosystem Wald erhalten und anschließend Fragen stellen und diskutieren.
Eine Inhaltsangabe wiederholen wir hier nicht, gehen aber auf einige für den Seeheim-Jugenheimer Wald besonders relevanten Aspekte aus dem Vortrag und der anschließenden Diskussion ein:
Komplexität
Wie ein roter Faden zieht sich das Stichwort Komplexität durch das Thema Waldökologie: Das Ökosystem Wald ist unfassbar komplex und verhält sich schwer vorhersehbar. Und dennoch: Auch wenn es für uns nicht gänzlich zu durchschauen ist, reguliert es sich selbst in der Art, dass es als Ganzes fortbesteht und sich wechselnden Bedingungen anpasst – wenn man es denn lässt. Fokus von Dr. Storms Vortrag waren die Stressfaktoren, die auf unseren Wald einwirken, und viele davon sind darauf zurückzuführen, dass menschliche Eingriffe der Komplexität des Ökosystems zu wenig gerecht werden.
Langfristigkeit
Die natürliche Entwicklung von Wäldern verläuft dynamisch und zyklisch durch verschiedene Phasen. Zeitlich sprechen wir hier von mehreren hundert Jahren, in denen ein sogenannter Anfangswald erst zum Übergangs- und dann zum Schlusswald wird, in die „Optimalphase“ eintritt, um schließlich aus der Alters- in die Zerfallsphase überzugehen und letzt“endlich“ den Zyklus von vorne zu beginnen und/oder sich zu verjüngen – stark zusammengefasst und vereinfacht. Dieser Zyklus verläuft in heimischen Buchenwäldern natürlicherweise über rund 300 Jahre. Interessant dabei: Für die Forstwirtschaft sind weniger als ein Drittel davon attraktiv, nämlich wenn die Bäume etwa 50 bis maximal 140 Jahre alt sind, weil sie in der Zeit „geerntet“ werden können. Treten sie in die Alters- oder gar Zerfallsphase ein, wird ihr Holz aus Sicht der Forstwirtschaft „entwertet“ – während der Wert für den größeren Teil des Ökosystems hier überhaupt erst beginnt zu entstehen!
Im Gegensatz zum Urwald wird der Wirtschaftswald jung gehalten: Die Umtriebszeit bei der Buche beträgt etwa 140 Jahre, also weniger als die Hälfte der Lebensspanne. Tote Bäume sind wir nicht gewohnt, aber sie gehören dazu. Ein Wald in der Zerfallsphase ist immer noch ein Waldökosystem und kein toter oder wertloser Wald.
Dr. Christian Storm, 27.11.2021
Waldinnenklima
Im Wald herrscht ein ganz eigenes Innenklima, beispielsweise mit oft 5 und mehr Grad niedrigeren Temperaturen als außerhalb. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass unsere Wälder bei intaktem Waldinnenklima den Stressfaktoren des Klimawandels fast vollständig gewachsen sein könnten (siehe auch hier und hier [pdf]). Nun liegen aber vom Waldrand bis zur vollständigen Ausprägung dieses Innenklimas oft bis zu 100m, und ähnlich verhält es sich mit Schneisen, Waldwegen und Lichtungen, je nachdem etwa wie großflächig die Öffnung des Kronendachs oder auch wie dicht schützende Strauch- und Krautschichten ausfallen. Durch Parzellierung und dichte Straßen- und Wegenetze sind unsere Wälder in dieser Hinsicht oft in einer prekären Lage, die es ihnen immer schwerer macht, ein intaktes Waldinnenklima aufrechtzuerhalten. Angesichts der sich anbahnenden Klimakatastrophe ist das eine Herausforderung, die unbedingt angegangen werden muss, gleichzeitig aber auch vergleichsweise einfach und leicht umgesetzt werden kann.
Symbiose
Wie Viele wissen, findet ein Großteil des Lebens im Wald unterirdisch statt, vor allem indem Baumwurzeln mit Pilzen Symbiosen eingehen und sich gegenseitig mit Nährstoffen, Wasser und auch Informationen versorgen. Was weniger bekannt ist: Diese Symbiosen sind ebenfalls hoch komplex, langfristig und äußerst spezifisch an den jeweiligen Standort angepasst. Wird das feine Pilzgeflecht im Boden geschädigt oder zerstört, etwa durch schwere Forstmaschinen, fällt ein lebensnotwendiger Bestandteil dieses symbiotischen Systems unwiederbringlich aus. Genauso verhält es sich aber auch, wenn alte Bäume gefällt werden, an die sich Bodenorganismen wie Pilze über lange Zeit angepasst haben: Mit dem Baum sterben auch sie – der Boden und der Wald verlieren an Vitalität und Widerstandsfähigkeit. Dasselbe passiert mit anderen Teilen des Ökosystems Wald, wenn Totholz nicht im Wald belassen und der weiteren Verwertung dort überlassen wird, aber auch und vor allem, wenn größere Kahlflächen durch Rodungen entstehen, wodurch auf vormals beschatteten Boden nun ungehindert Sonneneinstrahlung prallt.
Stressfaktoren
Analog zum Thema der Selbstregulation des komplexen Systems Wald zog sich das Thema Stress durch Vortrag und Diskussion: Wenn man es lässt, passt sich das System sich wandelnden Umweltbedingungen – mutmaßlich auch dem Klimawandel – selbstregulierend an. Je mehr Stressfaktoren jedoch einwirken, desto schwieriger wird die Anpassung. Während wir hier lokal wenig an externen Stressfaktoren (Makroklimakrise, Luftschadstoffe, Geschichte/„Fehler der Vergangenheit“) ändern können, unterliegen interne Stressfaktoren unseren bewussten und wissenschaftlich möglichst fundierten Entscheidungen: Behandlung von Schadflächen/-bäumen, Neubegründung von Beständen, ökologisches Wildtiermanagement, Auflichtungen, Totholz, Forsttechnik und Baumartenwahl – auf all das können und sollten wir Einfluss ausüben, und zwar möglichst so, dass sie nicht zu Stress für das selbstregulierende Ökosystem Wald werden: Weniger ist mehr.
Exoten
Die Pflanzung und Verbreitung gebietsfremder Baumarten stellt einen der von Christian Storm aufgeführten Stressfaktoren für das Ökosystem Wald dar. Die vorrangigsten Probleme damit sieht er in
- fehlender co-evolutiver Anpassung an hiesige Ökosysteme (Klein 2000 [pdf], Naturwald Akademie 2019 [pdf]),
- Veränderung von Biotopeigenschaften (Licht, Mikroklima, Nährstoff-, Wasserhaushalt, Bodeneigenschaften),
- Einschleppung von Pathogenen/Parasiten (Budde et al. 2016, Franić et al. 2019),
- Invasivität (entwickelt sich z.T. erst nach vielen Jahrzehnten und im Klimawandel können bislang gut integrierte Arten invasiv werden; Reif et al. 2011 [pdf])
- und einem hohen Ausfallrisiko, z. B. aufgrund mangelnder genetischer Variabilität und Wirkungen epigenetischer Effekte (Hussendörfer in einem Vortrag für HessenForst 2019).
Vor diesem Hintergrund und dem Gesamtbild, das der Vortrag im Hinblick auf die Komplexität des Waldökosystems klar aufgezeigt hat, kam aus dem Publikum die Frage: Wie aussagekräftig kann das wissenschaftlich begleitete Experiment der Exotenpflanzung bei uns sein? Etwas schulterzuckend konnte Christian Storm dazu nur sagen, dass eine wissenschaftlich fundierte Aussage etwa über einen Zeitraum von fünf Jahren überhaupt nicht zu treffen sei. Sinn und Zweck bleiben aus wissenschaftlicher Sicht demnach völlig unklar, ganz abgesehen von der bereits umrissenen (Nicht-)Zuträglichkeit für das Waldökosystem.
Wir freuen uns außerordentlich über die tiefen Einblicke, die uns Dr. Storm ermöglicht hat. Einiges konnte aber auch nur angerissen werden, vieles musste Dr. Storm aus Zeitgründen diesmal noch ganz auslassen – aber auch hier gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und wir freuen uns auf ein Wiedersehen und die Fortsetzung des Austauschs! Herzlichen Dank an Christian Storm und alle, die da waren!
Pressespiegel:
„Fachmann äußert sich zur Zukunft des Bergsträßer Walds“ Darmstädter Echo 29.11.2021
„Der Bergsträßer Wald ist hart im Nehmen, aber auch stark gestresst“ Bergsträßer Anzeiger, 17. Dezember 2021
„Der Wald braucht gutes Management“ Melibokus-Rundblick Ausgabe 231, Dezember 2021
Fotos: Tino Westphal/Gunnar Glänzel
Text: Gunnar Glänzel
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