Apr. 022025
 

Umfangreiche Holzernte im Ober-Beerbacher Wald hinterlässt Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Einschlagsmoratorium der Gemeinde Seeheim-Jugenheim 

Nach Vollendung eines Hausbaus wird eine Abnahme gemacht, in jedem Unternehmen gibt es ein Controlling, das stattgefundene Prozesse auswertet und beurteilt. Im Wald gibt es das nicht: Der forstliche Dienstleister HessenForst plant, führt aus und kontrolliert sich selbst, ganz gleich, ob es sich um Staatswald oder um Gemeindewald handelt. Weder die obere Forstbehörde, noch die Naturschutzbehörden oder Gemeindeverwaltungen überprüfen, ob die forstwirtschaftlichen Maßnahmen den rechtlichen Anforderungen gerecht werden und in der Regel wird auch keine Abnahme gemacht. 

Hinsichtlich ihres Gemeindegebietes vertraut auch die Gemeinde Seeheim-Jugenheim darauf, dass der von ihr beauftragte Dienstleister HessenForst die von ihr festgelegten Ziele für den Wald einhält.  

Doch daran kann man wiederholt Zweifel haben. Schon in den Jahren 2023 und 2024 legte der Revierförster Waldwirtschaftspläne vor, die das von der Gemeinde beschlossene Holzernte-Moratorium missachteten. Da die Gemeinde eine neue Strategie im Umgang mit ihrem Wald erarbeiten will, hatte sie festgelegt, dass keine Eingriffe mehr in älteren Buchenbeständen bis zur Verabschiedung des neuen Waldkonzeptes erfolgen sollen. Im Waldwirtschaftsplan plante der Revierförster entgegen des Beschlusses trotzdem die Hauptnutzung ein und die Gemeindevertreter vergaßen daraufhin, was sie ursprünglich beschlossen hatten. Erst ein Weckruf durch Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen führte im Jahr 2024 dazu, dass das Moratorium neu formuliert wurde. 

Der Beschluss der Gemeindevertretung vom 07.11.2024 lautete daraufhin: „Bis zu dem Beschluss der Gemeindevertretung bezüglich des Waldentwicklungskonzeptes des Runden Tisches soll die Hauptnutzung der Buche in der Wuchsfläche Bergstraße/Odenwald pausieren und die Pflegeeingriffe auf das Notwendigste reduziert werden.“

Nun fand jüngst ein großer Eingriff im Wald unterhalb von Ober-Beerbach statt, der nach Angaben des Revierförsters eine reine „Pflegenutzung“ war. Dort stapeln sich an vielen Stellen Holzstämme, junge und ältere gefällte Buchen liegen zusammen mit Fichten, Douglasien und Lärchen am Wegesrand. Rückegassen und Wege wurden durch schwere Forstfahrzeuge bei nassem Waldboden durchwühlt und kreuzweise durch den Wald geführt, es gibt Schäden an Bäumen entlang der Gassen. An manchen Stellen findet sieht man Holzstapel mit verrottendem Holz aus früheren Einschlägen.

Vertreter des NABU Seeheim-Jugenheim und Netzwerks Bergsträßer Wald hegen nun Zweifel daran, dass dieser Eingriff, bei dem nach Angaben des Revierförsters 250 Festmeter Buche und 450 Festmeter Nadelholz geschlagen wurde, zu diesem kritischen Zeitpunkt vor Beschlussfassung des neuen Waldentwicklungskonzepts wirklich „notwendigst“ gewesen ist. Die Beurteilung der Dringlichkeit dieses Einschlags muss neben der forstlichen Sicht auch ökologische Aspekte mit einbeziehen: Für manche Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ist es „notwendigst“, dass alte Bäume und abgestorbene Bäume im Wald verbleiben und Waldboden nicht übermäßig und in tiefe Bodenschichten verdichtet wird.

Aus ökologischer Sicht wären zum Beispiel auch jetzt gefällte alte Buchen als Habitatbäume für Tiere- und Pflanzenarten sinnvoll gewesen und nicht die jungen Buchen, die der Revierförster nun stellenweise als deren Rückzugsort markiert hat. Negative Nebenwirkungen des Eingriffs überwiegen bei diesen Maßnahmen bei Weitem die möglichen Wirkungen, so die Ansicht von NABU und Netzwerk.

Zusätzlich wird hinterfragt, ob der Eingriff tatsächlich reine „Pflegenutzung“ war. Etwas ratlos stehen der Forstwissenschaftler Martin Bertram sowie Tino Westphal und Yvonne Albe vom NABU Seeheim-Jugenheim an Baumstümpfen von einst dicken Buchen in der Nähe des Sportplatzes Ober-Beerbach und können allein aus rein forstlicher Sicht hier keinen „Pflegezweck“ erkennen. 

Nadelholz mit großem Durchmesser liegt am Wegesrand.
Der Stumpf einer alten Buche. Hier wurde in Wegnähe das Kronendach weiter aufgerissen. Zu fördernde Z-Bäume waren nicht zu entdecken.

Die Kontrolle aller Arbeiten im Wald und auch die Einhaltung des Moratoriums macht, wie Bürgermeisterin Birgit Kannegießer in der Bürgersprechstunde am 27.3.2025 ausführt, der Forstdienstleister selbst. Das muss sich aus Sicht der Naturschützer dringend und grundsätzlich ändern und auch Teil der Diskussion am Runden Tisch sein. Unabhängige Gutachter müssen geplante und durchgeführten Maßnahmen sowohl in forstlicher als auch ökologischer Hinsicht bewerten. Die Verwaltung sollte Ausführungen nicht ungeprüft übernehmen. Meike Plößer vom Netzwerk Bergsträßer Wald brachte es bei der Bürgersprechstunde auf den Punkt: „Es kann doch nicht sein, dass Hessenforst sich selbst kontrolliert.“

In besagter Bürgersprechstunde wurden auch von Mitgliedern der Gemeindevertretung Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen von Hessenforst vorgetragen. So äußerte Birgit Dette von den Grünen Seeheim-Jugenheim, dass es Aufgabe der Verwaltung der Gemeinde Seeheim-Jugenheim sei, sich an gefasste Beschlüsse zu halten und schließt einen Verstoß gegen das Moratorium nicht aus. Sie fordert zudem, dass die Kosten für die Wegeinstandsetzung vom Dienstleister, gerade in Zeiten klammer Kassen, und nicht von der Gemeinde getragen werden. 

Abseits aller formalen und subjektiven Beurteilungen dieser Maßnahmen lässt sich aber eines festhalten:

Der Sinn und Geist des Moratoriums wurde vom Forstdienstleister nicht erkannt. Er hat mit dieser Maßnahme Tatsachen geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind und damit Entscheidungen des Runden Tisches vorgegriffen. Das gilt sowohl für das Entfernen von Bäumen als auch für die chaotische, teils kreuzweise angelegte und unpflegliche Anlage und Befahrung von Gassen und Wegen, die die Entwässerung des Waldes vorantreiben und zudem nicht mit den Richtlinien von FSC vereinbar sind. 

Zusätzliche Anmerkung zu den Forstarbeiten:

Der gesamte Arbeitsbereich war bei laufenden Arbeiten nicht abgesperrt. Waldbesucher wurden durch Großfahrzeuge und beim Abtransport von Baumstämmen durch hin- und herschlagendes Holz gefährdet.

Ein großes Forstfahrzeug kommt einer Spaziergängerin entgegen. Die bei Waldarbeiten notwendigen Absperrungen waren nicht vorhanden.

Relevante FSC-Richtlinien:

10.10 Der Forstbetrieb* gestaltet Infrastrukturmaßnahmen*, Holztransport und waldbauliche Maßnahmen so, dass Wasserressourcen und Böden geschützt werden und Störungen sowie Schäden seltener und gefährdeter Arten*, Habitate*, Ökosysteme* und der Landschaftswerte* vermieden, gemindert und/oder behoben werden.

10.10.1 Der Forstbetrieb* richtet das Erschließungssystem an der langfristigen* Waldbehandlung im Sinne von 10.0 aus und legt es unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der ökologischen Werte geländeangepasst so an, dass möglichst wenig Waldboden* beeinträchtigt wird.

10.10.9 Der Forstbetrieb* sorgt durch entsprechende Arbeitsorganisation dafür, dass das Feinerschließungssystem so schonend genutzt wird, dass seine Funktionsfähigkeit auf Dauer erhalten bleibt, Gleisbildung mit Folgeschäden* vermieden wird und keine Verlegung oder Verbreiterung erfolgt (s. 6.2.1, 6.3.1, 6.7.5).

10.10.10 Die Arbeitsorganisation (10.10.9) umfasst die Wahl des Einsatzzeitpunktes, das Arbeitsverfahren, die eingesetzten Maschinen und Werkzeuge und die Formulierung der Anforderungen in Arbeitsaufträgen und in Verträgen mit eingesetzten Unternehmern.

Der Forstwissenschaftler Martin Bertram entdeckt bei einem Waldbegang sich kreuzende Rückegassen und erklärt, warum hier unnötige Bodenzerstörung stattgefunden hat.

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