Mrz 102022
 

HessenForst hatte etwa 20 alte Buchen auf einem kleinen Areal am Melibokus bei Alsbach zur Fällung markiert, wie dem NABU mitgeteilt wurde. Auf Nachfrage hieß es, dort solle ein Zaun gebaut werden, um natürlich aufwachsende Jungeichen vor Verbiss zu schützen – so weit so löblich. Aber warum dafür Buchen fällen?

Das Netzwerk Bergsträßer Wald und die Arbeitsgruppe Wald des NABU Seeheim-Jugenheim organisierten also eine Ortsbegehung und stellten fest, dass die geplanten Maßnahmen eine erhebliche Verschlechterung des Waldgebiets befürchten lassen, was gemäß seinem Schutzstatus als FFH-Gebiet unzulässig wäre. Folglich wurde eine Anfrage an die Gemeinde Alsbach-Hähnlein und an HessenForst gestellt und um Auskunft gebeten, inwiefern eine Verträglichkeitsprüfung für die geplante Maßnahme im Gebiet „Kniebrecht, Melibocus und Orbishöhe bei Seeheim-Jugenheim, Alsbach und Zwingenberg“ stattgefunden hat, das als FFH-Gebiet 6217-305 unter der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt ist. Maßgabe dafür war ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen, nach dem eine solche Prüfung erfolgen muss.

Die Antwort von HessenForst geht weitestgehend an unserer Frage nach den erwarteten Verschlechterungen für dieses relativ kleine Gebiet vorbei. In den Textbausteinen des Antwortschreibens wird lediglich für das gesamte FFH-Gebiet von 954 ha grob abgeschätzt, dass keine erhebliche Verschlechterung durch die Maßnahme zu erwarten ist. Dafür wird die sogenannte „Altholzprognose“ angeführt, eine 10-jährige Prognose darüber, wieviel Altholz (Buchen verschiedener Altersklassen) in einem zeitlichen Horizont von 10 Jahren im gesamten FFH-Gebiet „Kniebrecht, Melibocus, Orbishöhe“ zu erwarten ist.

Dabei fallen mindestens zwei Dinge sofort auf: Einerseits ist das Raster viel zu grob, denn unsere Anfrage bezieht sich auf ein etwa ein Hektar kleines Areal, für das wir sehr gut begründet (s.u.) eine erhebliche Verschlechterung befürchten. Andererseits ist eine 10-jährige Prognose für Buchenwälder natürlich viel zu kurzfristig, weil deutlich stärker auf langfristige Auswirkungen heutiger Maßnahmen geschaut werden muss.

Am Beispiel des von uns gemeinten Gebiets auf einem trockenen Rücken am Melibokus bei Alsbach heißt das: Was dort heute gemacht wird, muss sich in 10 Jahren noch nicht negativ auf das gesamte FFH-Gebiet „Kniebrecht, Melibocus, Orbishöhe“ auswirken. Aber das Gebiet ist viel zu klein und der Betrachtungszeitraum viel zu kurz, um eine erhebliche Verschlechterung auszuschließen. Was hieße überhaupt „erhebliche Verschlechterung“? Damit ist einzig die Einordnung des Gebiets in die Erhaltungsklasse C anhand eines umstrittenen Bewertungsschemas gemeint. Ohne hier in die Details zu gehen (s.u.), lässt sich der begründete Verdacht ausdrücken, dass eine solche Verschlechterung anhand geltender Regelungen fast schon ausgeschlossen ist. Ein Blick auf die Zahlen untermauert das: So wurden zuletzt in Hessen schätzungsweise nur 10% der Waldmeister-Buchenwälder (Lebensraumtyp/LRT 9130) bzw. 16% der Hainsimsen-Buchenwälder (LRT 9110) in die Kategorie C eingeordnet. Das Bewertungsschema für diese Einordnung steht aktuell unter scharfer Kritik bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission.

Das heißt vereinfacht ausgedrückt: Was für das gesamte Gebiet „Kniebrecht, Melibocus, Orbishöhe“ einem 10-Jahresplan festgelegt und vorab (z.B. auch vor den Trockenjahren 2018, 2019 und 2020!) für unbedenklich und der „ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“ entsprechend erklärt wurde, ohne Naturschutzverbände einzubeziehen, das muss für ein kleines Teilareal nicht zutreffen. Dadurch dass schädliche Maßnahmen hier das Gesamtgebiet nicht „erheblich“, sondern „nur“ mittelbar und jenseits des angesetzten Zeithorizonts schädigen, erklärt sie HessenForst als unerheblich und tut unsere Bedenken damit ab. Für uns zählt aber erstens nicht nur das Gebiet als Ganzes, sondern jeder einzelne Mikrokosmos, und wir sehen eben auch, dass sich Schädigungen hier mittelfristig auch auf benachbarte Gebiete auswirken: Der berüchtigte Dominoeffekt ist nachgewiesenermaßen vor allem in Buchenwäldern besonders ausgeprägt.

Unabhängig davon, wie sich das FFH-Gebiet als Ganzes entwickelt, müssen Teilgebiete betrachtet werden. Für dieses Teilgebiet – und davon ausgehend für umliegende Flächen – befürchten wir nach wie vor:

  • Störung des Waldinnenklimas: Aufgelichtete Buchenwälder erhitzen sich, die Rinden bekommen „Sonnenbrand“, die Bäume werden geschwächt, der Dominoeffekt setzt ein und verhindert natürliche Sukzession.
  • Starke Bodenerosion: Es handelt sich um einen exponierten Kamm. Werden alte Bäume gefällt, entsteht kein neuer Humus, der den Boden bedeckt und hält; der Wind weht noch stärker; sich zersetzende Wurzeln halten den Boden auch nicht mehr – es ist nur eine Frage der Zeit, bis er ins Tal gespült wird. Steppenklima und erodierter Felsboden sind die Folge –
  • Beide Folgen entsprechen wohl kaum den Lebensraumtypen 9110 und 9130, die in diesem Areal erhalten und gefördert werden sollen – und es steht zu befürchten, dass benachbarte Areale folgen.

Vor diesem Hintergrund ist uns unverständlich, wie die geplanten Maßnahmen damit gerechtfertigt werden sollen, dass vor ein paar Jahren festgelegt wurde: Mit „ordnungsgemäßer Forstwirtschaft“ wird alles gut – das ist ein Mythos, der von HessenForst verbreitet wird.

„Bewertung der Buchenwälder (LRT 9110 und 9130)“

Das Bewertungsschema, anhand dessen Buchenwälder in Hessen bewertet werden, sieht die Erhaltungszustände A, B und C vor. Buchenwälder der Lebensraumtypen (LRT) 9110 (Hainsimsen-Buchenwald) und 9130 (Waldmeister-Buchenwald) werden also anhand weniger Kriterien in die Erhaltungszustände A, B und C unterschieden. Allein in Klasse C besteht Handlungsbedarf, während A und B „Alles gut, weiter so.“ bedeuten. Dabei geht es vor allem um die Altersklassen der betrachteten Bäume bzw. eventuell verschiedener Schichten von Altersklassen sowie um den Anteil an Totholz, angegeben in Festmeter pro Hektar (Fm/ha). Flächen, auf denen vorwiegend jüngere Buchen (jünger als 120 Jahre bzw. 2 Schichten, von denen keine älter als 80 Jahre ist) mit wenig Totholz (weniger als 5 Fm/ha) zu finden ist, wären Erhaltungszustand C – entgegen dem Eindruck, den man vielerorts bekommt, nach offizieller Statistik eine äußerst seltene Ausnahme. Die überwiegende Mehrheit der hessischen Buchenwälder sind in der offiziellen Aufstellung im Erhaltungszustand B, sind also entweder einschichtig zwischen 120 und 200 Jahre alt oder mindestens zweischichtig mit einer Schicht älter als 80 Jahre, und weisen zwischen 5 und 15 Fm/ha Totholz auf. Kritische Rückfragen, wie hoch der Anteil B denn noch wäre, wenn in Hessen nicht ein eigenes Bewertungsschema, sondern das gängige Pinnebergschema verwendet werden würde, konnten bislang nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Es liegt nahe, dass bei detaillierterer und präziserer Betrachtung der Anteil C sprunghaft ansteigen und damit deutlich würde, wieviel Handlungs- bzw. Schutzbedarf tatsächlich besteht: Durch mehr Details anstatt nur zwei-drei grober Kriterien und bei auch kleinflächiger Betrachtung von mehr Altersklassen käme ein sehr viel differenzierteres Bild und weit mehr Schäden und/oder Schadpotenziale über einen längeren Zeitraum zum Vorschein.

Text: Gunnar Glänzel

Antwortbrief von HessenForst vom 04.02.2022

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