Jan 152023
 

Umweltausschuss-Sitzung Seeheim-Jugenheim am 10.1.2023

Am 10. Januar fand die 11. Sitzung des Ausschusses für Umwelt- und Naturschutz der Gemeindevertretung Seeheim-Jugenheim statt. Zuvor war der Waldwirtschaftsplan 2023 in der Gemeindevertretersitzung am 15.12. verabschiedet worden, während die eigentlich dazugehörigen Anträge von SPD und Grünen auf die gestrige Ausschusssitzung vertagt wurden. Damit war der NABU zunächst nicht glücklich, aber am Dienstag hat sich anhand der Länge und Tiefe der Diskussionen rund um den Wald gezeigt, dass ihnen tatsächlich mehr Zeit und Raum zugestanden werden musste, als es in der langen Gemeindevertretersitzung neben über 34 anderen Tagesordnungspunkten möglich gewesen wäre. So entspannte sich zu den Anträgen der Grünen und der SPD eine lange Debatte, in der es jedoch weniger um das große Ganze als um die konkrete Ausgestaltung der Anträge ging. In der Diskussion war man sich fraktionsübergreifend weitestgehend einig: Die Entwicklung einer Waldstrategie unter Einbeziehung externer Experten und aller beteiligter Parteien und Gruppen hat nun Priorität, während die Holzernte zwar planmäßig verabschiedet wurde, die Umsetzung des Waldwirtschaftsplans in Buchenwald-Abteilungen allerdings erst ab Herbst und nach Begehungen und weiteren Beratungen erfolgen soll.

Rund 25 Gäste wohnten der Sitzung bei und zeigten mit ihrer Anwesenheit, dass ihnen das Thema Wald wichtig ist. Der Raum Rottmannsdorf in Ober-Beerbach platzte aus allen Fugen. Redebeiträge von drei Bürgerinnen und uns als NABU machten deutlich, dass…

…der Wald im Klimawandel für den Wasserhaushalt, das Grundwasser und als Hochwasserschutz immer wichtiger wird und dafür fit (=geschlossen) gehalten werden muss;

…es Buchen- und Mischwälder im Umkreis gibt, die in besserem Zustand sind als die Wirtschaftswälder der Gemeinde Seeheim-Jugenheim, und es daher ratsam ist, sich Expertise dahingehend einzuholen, warum das so ist und was hier dafür getan werden kann;

…Argumente zum Holzbedarf und Verbrauch oft fehlgeleitet, verkürzt oder vorgeschoben sind;

…wir als NABU und andere Naturschutzverbände in den drängenden Prozess der transparenten Entwicklung einer Waldstrategie eingebunden werden möchten, und dass diesem prinzipiell ergebnisoffenen Prozess jetzt aber dringend zunächst ein Holzerntemoratorium für alte Buchenwälder vorangehen muss. 

Holzstapel im Gemeindewald Seeheim-Jugenheim. Können wir wirklich weiterhin so viel Holz wie bisher aus unseren angeschlagenen Wäldern holen?

Allein die Länge der nun folgenden Debatte zeigte, wie ernst den Gemeindevertretern mittlerweile der Umgang mit dem Wald ist. Diese in aller Vollständigkeit wiederzugeben ist kaum möglich, daher hier nur einige Schlaglichter entlang der insgesamt fünf Unterpunkte in den Anträgen von Grünen und SPD:

Ergänzungsantrag der Grünen (Link mit Abstimmungsergebnissen):

  1. Eine Begehung gefolgt von erneuter Beratung vor dem Einschlag im Herbst wurde einstimmig beschlossen, und hierzu gab es dementsprechend vergleichsweise wenig Diskussion. Noch nicht geklärt sind hingegen genaue Begehungsrouten sowie ein Zeitplan – der NABU geht jedoch davon aus, dass alle genannten Flächen (Ober-Beerbach, Balkhausen, Dammrück und Langer Berg) jeweils detailliert betrachtet werden. 
  2. Zur Frage, ob und wofür die Gemeinde zusätzlich 20 TEUR in den Wald investieren solle, gab Revierleiter Hungenberg an, dass ihn dieses zusätzliche Budget “entspanne”, er dafür allerdings grundsätzlich keine unmittelbare Verwendung sehe. Demgegenüber sehen Grüne und auch SPD darin die Möglichkeit, noch mehr finanziellen Druck von der kommunalen Forstwirtschaft zu nehmen, um ökologischen Gesichtspunkten gegebenenfalls mehr Raum geben zu können, z.B. für mehr Totholz im Sinne der Artenvielfalt statt Holzernte oder auch bei Gelegenheit neue, innovative Wege jenseits des Althergebrachten auszuprobieren. Die FDP hieß wegen der angespannten Haushaltslage solche Mehrkosten nicht gut. Und offenbar auch die CDU nicht, wie die Abstimmung zeigte.

Ergänzungsantrag der SPD (Link mit Abstimmungsergebnissen):

  1. Der Bedarf externer Expertise und eines Runden Tischs wurde prinzipiell kaum hinterfragt. So wurde bezüglich des Runden Tischs vor allem dessen konkrete Organisation und Zusammensetzung diskutiert, wenn auch noch nicht abschließend. Im Hinblick auf die Einbindung externer Experten drehte sich die Debatte hauptsächlich um den Wortlaut des Ergänzungsantrags, der im Laufe der Sitzung leicht abgeändert wurde. Der vorgeschlagene Experte aus der „Naturwaldakademie“ wurde aus dem Antrag gestrichen. Zudem wurden von FDP und CDU die zu erwartenden Kosten thematisiert. Sie enthielten sich ihrer Stimmen. Man einigte sich auf folgende Formulierung: „Die Einholung von unabhängigen und wissenschaftlich fundierten Expertisen im Rahmen
    eines ,Runden Tisches‘ im Frühjahr 2023, an den Vertretungen aller Fraktionen sowie
    unterschiedliche Expert:innen und Interessensgruppen wie beispielsweise Natur-
    schutzverbände und Vertreter:innen der Landwirtschaft teilnehmen sollen. Die Bera-
    tung umfasst einen Vergleich der bestehenden Bewirtschaftungskonzepte und zeigt Hand-
    lungsalternativen in der Waldnutzung auf. In weiteren Schritten soll ein ,Waldentwicklungs-
    konzept‘ entwickelt werden, welches die Wald-baulichen Ziele unter Berücksichtigung der
    örtlichen Gegebenheiten definiert.“
  2. Bei der Diskussion, ob der Waldwirtschaftsplan an das zu erarbeitende Waldkonzept angepasst werden sollte, wurde hauptsächlich der Zeitaspekt thematisiert, denn diese Erarbeitung braucht eine gewisse Zeit. Gegen eine solche Anpassung und damit für die unflexible Umsetzung des Plans unabhängig von der Waldstrategie stimmten CDU und FDP, während sich SPD und Grüne in dieser Frage einig waren, dass man den Waldwirtschaftsplan an zu erwartende neue Erkenntnisse und Handlungsoptionen anpassen sollte.
  3. Die SPD machte deutlich, dass sie bewusst Punkte 2 und 3 miteinander verknüpft habe, um auch auf die gebotene Eile bei der Entwicklung eines Waldkonzepts hinzuweisen und ein gewisses Momentum in dieser Richtung zu erzeugen. Das in Punkt 3 geforderte Moratorium für die Fällung alter Buchen sollte alle Parteien in die Pflicht nehmen, sich der Dringlichkeit einer neuen Waldstrategie bewusst zu werden und bei der Entwicklung entsprechend tatkräftig mitzuwirken. In der Debatte zeigte sich jedoch, dass das manchen Ausschussmitgliedern zu viel Druck erzeugt, so dass am Ende die nötige Mehrheit für diesen Punkt um eine Stimme verfehlt wurde. CDU, FDP und eine Stimme der Grünen verhinderten das Moratorium. Die Frage von Herrn Foschum von der SPD: “Was schadet es uns denn, wenn wir die Bäume erstmal stehen lassen?” blieb unbeantwortet.

Aus der Sicht des NABU bleibt der Eindruck eines Teilerfolgs, bei aber dem einige Fragen offen geblieben sind: Wir begrüßen es, dass vier von fünf der Unterpunkten, die wir auch alle befürworten und unterstützen, vom Umweltausschuss angenommen wurden, das heißt: Der Umweltausschuss empfiehlt der Gemeindevertretersitzung am 9.2.2022, diese vier Punkte zu beschließen. Erst nach diesem Beschluss gelten sie als angenommen und werden umgesetzt. 

Während sich die SPD und größere Teile der Grünen sichtbar für einen angepassten Umgang mit dem Wald engagierten, zeigten die Abstimmungsergebnisse und Redebeiträge der CDU und FDP, dass der Wille für die Entwicklung einer Strategie bisher nicht sehr ausgeprägt ist (Enthaltungen), Mehrkosten für den Wald nicht in Kauf genommen werden wollen (Nein-Stimmen) und eine Anpassung des Waldwirtschaftsplanes mit den zu erwartenden Holzeinschlägen an die zu entwerfende Waldstrategie sowie ein Moratorium, bis die Strategie steht, nicht befürwortet werden (Nein-Stimmen und Enthaltung).

Besonders kritisch sieht der NABU die knappe Ablehnung von Punkt 3 des SPD-Antrags, also des Moratoriums für den Holzeinschlag (auch wenn er immer noch entgegen der Empfehlung des Umweltausschusses angenommen werden kann). Denn hätte es einige Rückfragen und Klärungen geben können, wäre möglicherweise das Abstimmungsergebnis anders ausgefallen. Sie konnten allerdings nicht gestellt werden, denn im Gegensatz zu Ausschussmitgliedern und Revierförster haben Gäste kein Rederecht. So nahmen die Standpunkte gegen alle Punkte der Anträge, vor allem Punkt 3 der SPD, viel Raum in der Debatte ein, während einige der Argumente dafür entweder gar nicht genannt wurden oder verhallten:

  • Auch der NABU hatte im Vorfeld der Debatte Herrn Foschums einleuchtendes Argument vorgetragen, man riskiere erst einmal nichts, wenn man entsprechend des geforderten Moratoriums die Fällung alter Bäume aussetzt – umgekehrt gilt das nicht: Gefällt ist gefällt. Die Dringlichkeit, unter den immer unsicher werdenden Verhältnissen des Klimawandels, zunächst einer Art “Vorsichtsprinzip” den Vorrang zu geben, bis man (etwa durch externe Expertise) mehr weiß, wurde in der Diskussion nicht hinreichend aufgegriffen und bekräftigt.
  • Der Revierförster stellte erneut das sogenannte Buchen-Schadholzkonzept vor, demzufolge nur kranke und abgängige Bäume geerntet werden. Aus den Zahlen des Waldwirtschaftsplans ergibt sich allerdings die Frage: Warum stehen dort 1500 Erntefestmeter Buche unter “Hauptnutzung planmäßig” und nur 200fm unter “Hauptnutzung Kalamität”? Müsste nicht die gesamte Hauptnutzung dem Buchen-Schadholzkonzept zufolge „Kalamität“ sein? Auch diese Rückfragen konnten aufgrund fehlenden Rederechts im Ausschuss nicht gestellt werden. 
  • Nach diesem Schadholzkonzept ergebe sich in der Ernte kaum für langlebige Produkte verwertbares Holz. Zwar gingen im Jahr 2022 laut Revierleitung 82% des Seeheim-Jugenheimer Waldes in die “stoffliche” und damit nicht in die “energetische Verwertung” (Brennholz). Dabei muss man sich aber fragen: Wenn das Holz nur aus Kalamitäten kommt und daher kaum hochwertige Anteile enthält – wie langlebig können die im Rahmen der stofflichen Verwertung erzeugten Holzprodukte dann letztendlich sein?
  • Auch das Thema Totholz kam in der Debatte wieder viel zu kurz. Laut Revierleitung müsse man sich “über Totholz keine Gedanken machen”. Schaut man auf die letzten Zahlen von 2016, ergibt sich ein anderes Bild, an dem sich seither wohl nur wenig geändert haben dürfte: Es waren nur 2,42 Festmeter/ha! Zur Einordnung: In Ur- oder Naturwäldern findet man bis zu 400 Festmeter/ha, Empfehlungen aus naturwissenschaftlichen Studien belaufen sich auf 30-60 Festmeter für eine hinreichende Artenvielfalt, und selbst HessenForst strebt in der eigenen Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald über >40 Festmeter an. In einem ausführlichen Artikel haben wir die Folgen niedriger Totholzmengen beschrieben: Sie tragen zum Sterben der Arten in unseren Wälder in großem Umfange bei.

All das und mehr hätte man einbringen können. Während Revierförster ebenso wie Ausschussmitglieder uneingeschränktes Rederecht genießen, fehlt in Gremien und Ausschüssen oft ein entsprechendes Gegengewicht, etwa durch eingeladene ExpertInnen aus Naturschutz oder Wissenschaft, deren Argumente eventuell ein anderes Abstimmungsergebnis hätte erwirken können. Der NABU kann hiermit nur abschließend erneut auf diese Argumente verweisen und auf ein Abstimmungsergebnis bei der finalen Entscheidung Gemeindevertretersitzung am 9.2.2022 hoffen, das auch diese Punkte berücksichtigt und widerspiegelt.

Auch wenn dies zunächst nur ein Teilerfolg ist und noch Fragen offen sind, so beurteilt der NABU den jetzt stattfindenden Prozess sehr positiv. Es ist richtig und wichtig, dass endlich über unsere Wälder gesprochen wird. Ihr Wohl oder Wehe wird bestimmen, in welcher Welt wir in Zukunft leben. Man sieht, dass die Gemeindevertretung die Wichtigkeit dieses Themas erkannt hat.

Immer wieder bleibt geschlagenes Holz auf Holzstapeln monatelang, ja manchmal jahrelang liegen und wird nicht abgeholt, wie hier im Schweizer Loch. Hätte man dieses Holz nicht besser als lebende Biomasse im Wald gelassen?

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