Jan 252023
 

Wie zuletzt in der Presse zu lesen war, hat der Gemeindevorstand Bickenbach einen 10-Punkte-Plan mit zehn Leitlinien für den Gemeindewald entwickelt.

Wir freuen uns, dass Einiges aus unserem 10-Leitlinien-Papier Eingang in den Plan des Gemeindevorstands gefunden hat. Und wir begrüßen es sehr, dass sich der Gemeindevorstand ausgiebig mit diesem Thema befasst hat und einen naturnahen Umgang mit dem Wald anstrebt, der klimatische Herausforderungen mit einbezieht.

Bei einigen Punkten bleiben aber noch Fragen offen. Während einige Leitziele unsere volle Zustimmung finden, wünschen wir uns für nachfolgende Punkte Verbesserungen/Konkretisierungen. Denn nur durch eine Konkretisierung können die übergeordneten Stabilisierungs- und Schutzziele effektiv erreicht werden.

Zu 1: “Fällungen werden auf ein unverzichtbares Minimum reduziert.”

a) Was bedeutet ein “unverzichtbares Minimum” konkret? Bezieht sich das vorrangig auf die Verkehrssicherung oder beispielsweise auf die Nachfrage nach Holz? 

b) Der Plan bezeichnet Holz als “nachhaltigen” Rohstoff. Die sich zwingend anschließende Frage für uns lautet: Verwendet man diesen Begriff, weil das Holz aus der Gemeinde Bickenbach dann vorrangig für langlebige Holzprodukte (Bau, Parkett) und zur Verfügung stehen/regional genutzt werden soll? Denn Nachhaltigkeit wäre bei Verbrennung und kurzlebigen Holzprodukten und/oder langen Transportwegen nicht gegeben. (https://www.bmuv.de/heizen-mit-holz/umwelt/klimaauswirkungen-von-heizen-mit-holz

Wir unterstützen die nachhaltige Verwendung von Holz, wenn sie tatsächlich nachhaltig ist.

Zu 2: „Aktiver Waldumbau“

Symbolbild aktiver Waldumbau

Grundsätzlich sehen wir das Konzept “aktiver Waldumbau” kritisch, weil damit viel technokratisches Denken einhergeht und sich in Praktiken wie „Pflege“-Maßnahmen und Pflanzung „standortangepasster“ Baumschulpflanzen niederschlägt. Es mag punktuell nötig sein, Naturverjüngung und Jungwuchs bestimmter einheimischer Baumarten gezielt zu fördern (etwa durch Zäunung). Generell jedoch hat sich das Konzept bereits in der Vergangenheit meist als wenig erfolgreich erwiesen, und wir erwarten bei sich verschärfenden klimatischen Bedingungen noch weniger Erfolg damit. Insofern ist der natürlichen Verjüngung klar der Vorrang vor “aktivem Waldumbau” zu geben – nicht zuletzt auch deswegen, weil damit weniger Arbeit im Wald nötig wird und damit nicht nur deutlich geringere Kosten für die Gemeinde, sondern auch weniger Arbeits-/Verkehrssicherung, weniger Befahrung und ganz allgemein weniger Störung, wodurch sich wiederum mehr Raum für Selbstheilungskräfte des Waldes eröffnet.

Wir schlagen daher vor, den ersten Satz in diesem Punkt entsprechend anzupassen: “Die natürliche Verjüngung genießt Vorrang.” auch weil der Satz sonst allen folgenden widerspricht. 

Zu 4: “Totholz verbleibt im Wald”

Auch hier wäre eine Konkretisierung notwendig: Wieviel Totholz pro Hektar soll erreicht werden? Z.B. könnte man die Zielvorgaben aus der Naturschutzleitlinie von HessenForst für den Hessischen Staatswald übernehmen, die mindestens 40 Festmeter Totholz pro Hektar fordert (Seite 49). Das bedeutet, der Totholzanteil müsste sich von 2,63 Fm/Hektar (Zahl aus der Forsteinrichtung von 2016) diesem Ziel sukzessive nähern, bis er mehr als 40 Fm/ha erreicht. Alternativ könnte man einen anzustrebenden Totholzanteil von mindestens 10% der Biomasse angeben.

Zu 5: “Um den Artenreichtum zu fördern, werden Habitatbäume z. B. ihrem natürlichen Verfall überlassen.”

Eine Zielzahl bzw. Zielangabe für Habitatbäume sollte unserer Ansicht nach für die Zukunft formuliert werden. Die Angaben aus der Naturschutzleitlinie von HessenForst erachten wir hier für sinnvoll: “10 Bäume pro Hektar” oder “Stehendes Totholz sollte 1/4 -1/3 des Totholzvolumens ausmachen.” (S. 50)

Zu 6: „Auf bestimmten Flächen wird der natürlichen Sukzession Raum gegeben.“

Hier wird nicht deutlich, ob entweder die Wiederbewaldung von Störflächen auf natürliche Weise, das Zulassen von Verjüngung ohne aktives Eingreifen oder aber die Einrichtung von Naturwaldflächen gemeint sind, in denen sich die Natur frei entfalten kann. Wir denken, diese Begrifflichkeit sollte noch näher ausgeführt werden, um das eigentliche Ziel zu verdeutlichen. 

Sind damit Naturwaldflächen gemeint, begrüßen wir dies sehr, würden diesen Punkt dann aber noch etwas konkretisieren. Vorschlag: “Es werden mindestens 10% Naturwaldflächen ausgewiesen, die dauerhaft der natürlichen Waldentwicklung überlassen werden. Wertvolle Waldflächen ohne nennenswerten Neophytenbewuchs werden hierfür bevorzugt ausgewählt.” Bei den 10% haben wir uns an den Nachbargemeinden orientiert.

Natürlicher Sukzession wurden bisher wenig Chancen gegeben.

Die Ausführungen, die wir auf der Gemeinde-Webseite gefunden haben, nach denen kein Wald stillgelegt werden soll, lassen an dieser Deutung aber Zweifel aufkommen. Wenn hier die Wiederbewaldung nach Störungen gemeint ist, sollte dies konkret auch so formuliert werden.

Sollte die Gemeinde Bickenbach tatsächlich keine Naturwaldflächen ausweisen wollen, würde das Förderprogramm der Bundesregierung zum klimaangepassten Waldmanagement auch nicht in Betracht kommen, worauf die Gemeinde aber durchaus Anspruch hätte und daraus Einnahmen akquirieren könnte, da der Gemeindewald ohnehin schon PEFC-zertifiziert und damit nahe dran ist, die Richtlinien des Programms zu erfüllen.

Zu 10:Die Verkehrssicherung entlang von Wegen, Straßen und Bebauungsrändern hat oberste Priorität.“

Verkehrssicherung an Straßen und Bebauungen gehört zur gesetzlichen Verkehrssicherungspflicht und ist nicht verhandelbar, die Verkehrssicherung in Bezug auf waldtypische Gefahren an Wegen jedoch schon, da sie nicht zu den gesetzlichen Pflichten des Waldbesitzers gehört. Da unverhältnismäßige Verkehrssicherung an Wegen leicht zu einer Gefahr für die Stabilität des Waldes werden kann (Auflichtung, Verbreiterung von Schneisen im Wald, Fällung von wertvollen Bäumen), sollte unserer Ansicht nach die Verkehrssicherung auf die dringend benötigten Feuerwehrzufahrtswege beschränkt werden (was bedeutet, dass nicht vorsorglich gefällt wird, sondern dass umgefallene Bäume zeitnah aus dem Wege geräumt werden). Auch das Freihalten von Wegen sollte natürlich für Waldbesucher weiterhin erfolgen; auf Wege gefallene Bäume sollten dann zur Totholzanreicherung in den Wald transportiert werden. Wie schon in der Leitlinie der Gemeinde angesprochen, sollte die Aufklärung der Bevölkerung zu waldtypischen Gefahren verstärkt erfolgen (Vorbild Gemeinde Mühltal: Hier werden Waldbesucher bei Eintritt in geschädigte Wälder mit Schildern auf waldtypische Gefahren hingewiesen und die Nicht-Haftung des Waldbesitzers bei Schäden mit Bezug auf das Urteil des Bundesgerichtshofes deutlich gemacht (BHG, Urteil vom 02. Oktober 2012 VI ZR 311-11)).

Allgemein: Mögliche Zielkonflikte

Dieser letzte Punkt wirft folgende grundlegende Frage auf: Stehen die 10 Leitgedanken in einer gewissen hierarchischen Reihenfolge/Priorisierung? Wenn dem so ist, wäre Leitgedanke 10 allen anderen nachgeordnet, und das wäre im Sinne des NABU. Sollte dem nicht so sein, können mit dem  Verweis auf Verkehrssicherung und deren höchste Priorisierung alle anderen Punkte ausgehebelt und/oder zumindest vorübergehend hintenangestellt werden, was die betroffenen Leitgedanken dann auch dauerhaft verunmöglichen kann. Würde man entlang von Wegen alle geschädigten Bäume entfernen, bliebe bei einem starken Schädigungszustand nicht mehr viel Wald übrig.

Wir wünschen uns daher auch zu dieser Frage eine Konkretisierung, auch weil unser 10-Punkte-Plan explizit eine derartige Priorisierung enthält (siehe Abschnitt 2), da wir das Konzept “Wald als multifunktionaler Dienstleister”, der alle Funktionen gleichermaßen nebeneinander erfüllen kann, als widerlegt und überholt ansehen. In Übereinstimmung damit weicht unser Grundverständnis des Waldes auch vom Konzept des “multifunktionalen Dienstleisters” ab, das dem 10-Punkte-Plan zugrunde liegt. Unserem wissenschaftsfundierten Verständnis nach können Wälder – insbesondere stark geschädigte Wälder – nicht vielerlei Funktionen gleichrangig nebeneinander erfüllen. Stattdessen kommt es immer wieder zu Zielkonflikten, die wir zu lösen haben, indem wir Ziele/Funktionen gegeneinander abwägen.

Wir empfehlen der Gemeinde außerdem nach wie vor, sich eine unabhängige Expertise zur zukünftigen Waldbehandlung einzuholen, vor allem um den jetzigen Zustand des Waldes eingehend  zu analysieren, um daraus konkrete Empfehlungen abzuleiten. Die Feststellung einer Universität in Zürich (Quellenangabe? Wir konnten dieses Zitat nicht finden), die auf der Bickenbacher Webseite zitiert wird, nachdem der Wald bereits Kipppunkte überschritten habe und sich nicht selbst heilen könne, was einen aktiven Waldumbau notwendig mache, sollte für den Bickenbacher Wald spezifisch geprüft werden. Der Bericht des Runden Tischs Wald in Darmstadt geht im Gegenteil davon aus, dass der Wald seine Selbstheilungskräfte entwickeln kann und sollte. Da der Darmstädter Westwald Ähnlichkeiten mit dem Bickenbacher Wald aufweist, ist diese Quelle vermutlich der passendere Referenzpunkt.

Wir hatten dem Gemeindevorstand unsere Rückfragen zeitnah zugeschickt. aber auch auf Rückfrage keine Antwort auf unsere Fragen und Bedenken bekommen.

 

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