Mit der Ausweisung eines sogenannten „grünen“ Gewerbegebiets „In der Delle“ bei der Berta-Benz- Straße sollen weitere 7 ha Ackerland westlich Bickenbachs gemäss der öffentlichen Vorlage 2022/025-1 der Gemeinde Bickenbach permanent mit einem Gewerbegebiet hochgradig versiegelt werden – eine traurige Nachricht für den Umwelt- und den Klimaschutz.
Der Flächenverbrauch an der Bergstraße schreitet scheinbar unaufhaltsam voran – in Deutschland fallen noch immer unfassbare 52 Hektar pro Tag dem Flächenfraß zum Opfer. Und die Kommunen Südhessens beteiligen sich am Rennen, auch noch die letzten ortsnahen Ackerflächen unter Beton verschwinden zu lassen.
Wenn selbst im Außengebiet durch permanente Gewächshäuser unter Glas und weiter wachsende Anbauflächen unter Folie zusammen wachsen mit den wuchernden Gewerbeflächen um die alten Ortskerne wird heute ein Szenario Realität, dass Städteplaner in den 70er Jahren als unwahrscheinliches worst case Szenario für 2020 angenommen hatten: der Raum südlich Darmstadts wächst zusammen zu einem einheitlichen Siedlungskonglomerat- mit allen fatalen Folgen für Umwelt und Klima.
Verschmelzung der alten Ortskerne
Mit Abständen von kaum noch 250 bis 500 Metern zwischen den letzten offenen Ackerflächen ist die Zersiedlung bereits heute sehr weit fortgeschritten. Naturschutzfachlich betrachtet ist die Verschmelzung bereits vollzogen, denn bei typischen Feldvögeln gilt ein Abstand von ca. 200 m bis zur Bebauungsgrenze, damit finden wir heute um Bickenbach schon keine echte Feldflur mehr. Dennoch sind diese Bebauungslücken enorm wichtig als Austauschkorridore für Ackerwildkräter und Insekten und immer mehr auch als Entlüftung für Mikroklima. Stichwort “Wärmeinsel” – Kühlflächen am Ortsrand werden dringend benötigt. Nicht unterschätzen: Hitzewellen töten Menschen, besonders ältere Menschen, genau so gnadenlos, wie eine Pandemie.
Alternativlos?
Gerade im Artikel „Bickenbach weist neues Gewerbegebiet aus“ im Darmstädter Echo vom 12.4.2022 wird beklagt, dass schon die ausgewiesenen Gewerbeflächen nicht ausreichend genutzt werden. Die im Artikel vom Bürgermeister angegebenen lokalen Interessenten an Gewerbeflächen darf mensch getrost bezweifeln – örtliche Landwirte jedenfalls siedeln nicht im ortsnahen Gewerbegebiet, sondern lieber weiter draussen in der noch offenen Landschaft- mit noch fataleren Effekten für den Naturschutz.
Problembewusstein?
Scheint flächendeckend nicht vorhanden. Fast alle Kommunen, mit nur ganz wenigen rühmlichen Ausnahmen, beteiligen sich am Rennen um kurzfristigen Gewinn.
Klimaschützer und Umweltschützer vermissen schmerzlich in vielen Gemeinden die Erstellung geeigneter Klimakonzepte und Mobilitätskonzepte und Baukonzepte mit konsequentem Fokus auf Innenentwicklung – Bickenbach stellt da kein Ausnahme dar.
Dörfer bleiben nur attraktiv und lebenswert durch einen behutsamen Umgang mit Bauland, dem Erhalt von innerörtlichen Grünzonen, Baumbeständen, Wasserläufen, der Entsiegelung von nicht mehr benötigten Flächen und können nur so ihre traditionelle Nähe zur Natur bewahren.
Die Verknüpfung von Wohnen, Arbeiten und Gewerbe, sowie Sozialem, kurzen Wegen mit Reduktion des innerörtlichen Autoverkehrs durch die Stärkung alternativer Fortbewegungsmöglichkeiten ist nachhaltig und zukunftsgerichtet und dient dem Klima- und Umweltschutz.
Auch in der Regionalplanung des Landkreises wird das wie hier geübte Verfahren praktisch eher gefördert: nämlich mit „kleinen“ Schritten von wenigen Hektar pro Antrag zur Versiegelung unterhalb des Radars der regionalen Flächenplanung zu verschwinden. Damit wird auch jeder strategische Ansatz zur Flächenökonomie ausgehebelt. Denn wenn das Staatsziel „Netto-Null“ beim Flächenverbrauch in Hessen ernsthaft bis zum Jahr 2040 angestrebt würde, dann müssten die Kommunen in harter Konkurrenz stehen um die wenigen noch verbliebenen Flächen dieses Budgets. Flächen, die zum Beispiel aus Klima-strategischen Gründen noch versiegelt werden müssen, seien es zur Anlage von Radwegen oder Bahnstrecken, Flächen, auf denen letztlich dem Problem der Klimakrise aktiv begegnet wird. Anträge zu Flächen wie das geplante Gewerbegebiet westlich Bickenbach würden unter dieser Voraussetzung aus Umwelt- und Klima-Ökonomischen Gründen sofort als vollkommen ineffektive Landnutzung abgelehnt.
Netto-Null Flächenverbrauch heißt: künftig ist jede Versiegelung nur mit Entsiegelung anderenorts kompensierbar.
Wir brauchen keine weiteren Gewerbegebiete südlich Darmstadts!
Fatale Folgen für den Artenschutz
Naturschützer wissen aus schmerzlicher Erfahrung: Jede Umgehungsstraße, jedes Gewerbegebiet kostet im Schnitt das Aussterben einer lokalen Art. Auch die gesetzlichen „Ausgleichsmaßnahmen“ halten das nicht auf.
Auch dieses Gewerbegbiet hat einen konkreten Preis: Naturschützer befürchten das lokale Aussterben der Kreuzkröte, denn ihr wird mit diesem Gewerbegebiet ein wichtiges letztes Nahrungsgebiet final entzogen.
Daran werden auch ein paar bienenfreundliche Sträucher auf der Fläche nichts ändern- wie sie quasi als Trostpflaster angepriesen werden als „Ausgleich“ für die geplante Zubetonierung der Fläche.
Rettung für die Kreuzkröte?
Amphibienfreunde des NABU stemmen sich gegen das scheinbar feststehende Urteil des Aussterbens der Kreuzkröte bei Bickenbach
Singvögel im Gebiet der Berta-Benz Straße
Das Gebiet des geplanten Gewerbegebiets wird von Vögeln heute vor allem zur Futtersuche und als Jagdgebiet genutzt. Jammerschade ist es um zwei Gehölzinseln, die ein wertvolles Brutareal für Vögel darstellen.
An einem Frühlingstag häufig im Gebiet an der Bert-Benz-Straße zu sehen und zu hören sind Buntspecht, Grünspecht, Grünfink, Mönchsgrasmücke, Zaunkönig, Amsel, Blau- u. Kohlmeise.
Aus zurück liegenden Beobachtungen über die Jahre: Mäusebussard, Turmfalke, Sperber, Ringeltaube, Türkentaube, Heckenbraunelle, Buch- und Bergfink in den Wintermonaten, Rauchschwalbe, Bachstelze, Hausrotschwanz, Star, Stieglitz und vor allem Feld- u. Haussperling.
Natürlicher Klimaschutz
Wir verlieren heute die Flächen, auf denen wir künftig „natürlichen Klimaschutz“ betreiben könnten: nämlich aktives Management der noch offenen Flächen zur Kühlung, zur Grundwassergewinnung, zur CO2-Akkumulation (ja, das geht auch auf Ackerflächen!).
Wie stehen Landwirtschaft betreibende Menschen aus Bickenbach zum Thema Flächenfraß auf dem Acker?
Es ist seltsam ruhig unter den LandwirtInnen von Bickenbach.
Wäre das Ansinnen der Gemeinde Bickenbach zur Ackervernichtung nicht die beste Gelegenheit zu zeigen, dass gleichermaßen die Interessen der Landwirtschaft und des Natur- und des Klimaschutzes betroffen sind, wenn irreversibel weitere Flächen dem kurzfristigen Gewinnstreben und kurzfristiger Steueroptimierung geopfert werden? Dass wir uns jeden Tag weiterer Flächen berauben, auf denen wir Nahrung für Menschen erzeugen können und aktiv handeln können gegen die Auswirkungen der Klimakrise und der Krise der Biodiversität?
Liebe Landwirte und Landwirtinnen von Bickenbach: es ist hohe Zeit für eine Allianz auf lokaler Ebene gegen den verantwortungslosen Flächenverbrauch in Bickenbach, so wie sie in Hessen auf Landesebene schon zwischen den Landwirtschafts- und Naturschutzverbänden geschmiedet wurde.
Der NABU steht für Gespräche gern zu Verfügung!
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