Feb 192022
 

Nun ist es bestätigt: direkt südlich des Vogelschutzgebiets in der Landbachaue wird ein weiterer Aussiedlerhof gebaut. Bisher machten diverse Gerüchte die Runde, offizielle Bestätigungen des Vorganges waren auch auf Rückfrage nicht zu erhalten. Damit wurde eine angemessene Diskussion vollkommen unmöglich gemacht, bis Tatsachen geschaffen wurden mit fatalen Auswirkungen auf das Klima und vorhersehbarem Verlust an Artenvielfalt.

Karte: Blau markiert – Vogelschutzgebiete und Naturschutzgebiete im Bereich der Landbachaue. Rot markiert – künftiger Aussiedlerhof als weiteres Glied einer Kette von Bauten südlich des Vogelschutzgebietes der Landbacheue, die den Korridor zwischen der Landbachaue und Nahrungsgebieten der offenen Feldflur blockieren

Gerüchte werden wahr

Aus für den Kiebitz – am Rand des Vogelschutzgebietes die Landbachaue wird ein Aussiedlerhof errichtet. Naturschützer fürchten eine fatale Blockadewirkung und Konsequenzen für die letzten Kiebitze und Rebhühner.

Der schlimmste Fall wird hier Wirklichkeit: nicht nur eine einzelne Maschinenhalle, sondern ein kompletter Aussiedlerhof mit Wohnanlagen, Maschinenhallen Lagerhallen und Hofladen werden gebaut. Und stehen bleibt der Prozess der Zersiedlung damit keineswegs. Wir befürchten, hier entsteht die Keimzelle eines flächigen Gewerbegebiets, wie es im Endzustand der Entwicklung westlich Pfungstadt zu sehen ist – alle hundert Meter ein Haus, eine Maschinenhalle, ein Silo, ein Lager. Den Preis der scheinbar unaufhaltsamen Zersiedlung zahlen wir alle.

Ein trauriger Tag für den Naturschutz

Fehler im System

  • Systemfehler landwirtschaftliche Privilegien: Niemand erwartet von einer Landwirt:in vertiefte Kenntnisse der Brutbiologie von Feldlerche oder Rebhuhn oder dass er oder sie die Auswirkungen auf einem Lebensraum einschätzen kann- dafür ist eine Expertise notwendig, die üblicherweise von Spezialisten eingeholt werden sollte. Einzelnen Personen kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn Rechte wahrgenommen werden, auch wenn sie auf Privilegien beruhen, die eigentlich für einen anderen Zweck angelegt waren. Es ist auch unübersehbar, dass innerörtlich Landwirt:innen mitunter als Störfaktor wahrgenommen werden – Landwirtinnen beklagen, dass Verkehr mit schweren Landmaschinen und etwaige Geruchsbelästigung selbst im dörflichen Umfeld immer weniger akzeptiert werden.
  • Systemfehler im amtlicher Naturschutz: Die Untere Naturschutzbehörde (und hier ist der Name der Behörde absolut irreführend) ist keineswegs die Verteidigerin des Naturschutzes, sondern hat – politisch gewollt – den Auftrag, naturschutzfachliche Hindernisse einer Wirtschaftsentwicklung aus dem Wege zu räumen. Lokale Betrachtung einzelner Vorgänge sowie kumulative Folgeschäden (Dominoeffekte) auf den gesamten Naturraum werden kaum, der Einfluss aufs Klima praktisch gar nicht betrachtet. Die Behörde gehorcht einem Baugesetz, das Klimaschutz und Schutz der Artenvielfalt weitestgehend ausblendet.
  • Systemfehler: Bürde auf dem Ehrenamt – Rolle des NABU. Als Überbringer schlechter Nachrichten sind ehrenamtliche Naturschützer:innen häufig in einer schlechten Position: NABUs und Andere würden lieber unserem Kerngeschäft nachgehen: dem praktischen Naturschutz vor Ort. Seit vielen Jahren aber bleibt Naturschützer:innen häufig nur die traurige Aufgabe, den Weg bisher häufiger Vogelarten hin zur Rarität und schließlich zum lokalen Aussterben zu dokumentieren – eine tief frustrierende Form von Sterbebegleitung.

Ausblick: wie geht es weiter?

Hier ist der Schaden wohl irreparabel eingetreten, die Folgen sind vorhersehbar konkrete Artenverluste.

Es geht auch anders.

Es gibt tatsächlich einzelne schöne Ansätze einer vertrauensvollen direkten Zusammenarbeit zwischen Kommunen, lokalen Landwirten, sowie amtlichem und ehrenamtlichem Naturschutz. Hier bietet sich die Möglichkeit in jeder Gemeinde, gemeinsam langfristige Landwirtschaft (namentlich auch konventionelle Landwirtschaft und Landwirtschaft unter Folie) zu gestalten, durch die Zusammenlegung von Ausgleichsflächen und die Ausweisung von Pufferzonen um Schutzgebiete als Bestandteil eines speziell zugeschnittenen Artenhilfskonzepts, das nachhaltig und nachweislich den Lebensraum von Schlüsselarten sichert.

Natürlich auf freiwilliger Basis, denn die landwirtschaftlichen Privilegien gelten für jeden konventionellen Landwirt ebenso wie für die Naturschutz-orientierte Ökolandwirtin. Vor allem aber muss in der Bürgerschaft und Kommunalpolitik die Anerkennung des Rückgangs der Artenvielfalt als bedrohliche Krise mehrheitsfähig werden und damit der politische Wille zum Gegensteuern auf lokaler Ebene.

Langfristig aber ist eine politische, letztlich gesetzliche, Regelung notwendig: Die Erneuerung des Auftrages des amtlichen Naturschutzes und ein Baurecht, das Klimakrise und Krise der Artenvielfalt konsequent berücksichtigt und langfristig eine messbare Verbesserung der Situation bewirkt. Im Außenbereich kann und muss das den Rückbau von Infrastruktur bedeuten, mindestens aber einen Netto-Null-Flächenverbrauch.

Das Ehrenamt muss entlastet werden von der Bürde des Nachweises von offensichtlichen Verschlechterungen der Naturräume. Der Natur- und Klimaschutz muss in allen politischen Prozessen system-immanent werden.

Vielleicht haben Kiebitz und Rebhuhn noch eine Chance. Wir sollten uns beeilen, denn das Zeitfenster schließt sich.

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