Vortrag Prof. Dr. Dr. h.c. Pierre Ibisch im Bürgerhaus Bickenbach
Prof. Dr. Pierre Ibisch hielt am 10.5.2023 einen äußerst informativen Vortrag zum aktuellen Stand der Wälder und wie er sich in den letzten Jahren verändert hat. Daran anknüpfend stellte er Ansätze für Naturnahes Waldmanagement vor, die er aus 30 Jahren Forschung und seiner Einbindung in zahlreiche nationale wie internationale Expertengremien gewonnen hat. Prof. Ibisch ist einer der renommiertesten Wissenschaftler rund um die Themen Waldökologie, Biodiversität und Naturschutz, zu denen er bereits über 560 Schriften (mit-)veröffentlicht hat. Sowohl im Vortrag als auch im anschließenden Austausch ging es auch um die Frage: Was lässt sich aus dem aktuellen Stand der Forschung für die Wälder an der Bergstraße ableiten?
In rund 50 Minuten erläuterte Ibisch den knapp 200 anwesenden Interessierten streng auf aktuellen wissenschaftlichen Erhebungen basierend die Herausforderungen, denen Wälder in der Klimakrise ausgesetzt sind. So zeigte er vor allem zahlreiche optisch aufbereitete Luftbildaufnahmen und Temperaturkarten, anhand derer deutlich wurde, wie sich Hitze und Trockenheit auf die Vitalität und damit die Widerstandsfähigkeit von Wäldern auswirken.
“Der Wald wird geföhnt”
Ohne das Publikum mit wissenschaftlichem Fachjargon “abzuhängen”, machte Ibisch eines deutlich: Es sind relativ simple physikalische Zusammenhänge, derer wir uns bewusst werden müssen, um zu verstehen, was aktuell in den Wäldern passiert. Er verglich zum Beispiel die Vorgänge des Waldes “auf dem Weg in die Heißzeit” mit dem Haare Föhnen: Dabei nutzen wir Wärme und Luftzug, um unsere Haare zu trocknen – exakt dasselbe passiert durch die Klimaerwärmung in aufgelichteten Waldbeständen. Werden Bäume gefällt und entnommen, dringt warme Luft in den vormals kühlen und feuchten Wald ein und trocknet ihn aus. Dadurch wird es noch heißer, und heißere Luft kann – simple Physik – deutlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen und zieht noch mehr Restfeuchtigkeit heraus, wodurch zusätzliche Hitze entsteht und so weiter – ein verhängnisvoller selbstverstärkender Effekt.
Wissenschaftsbasiert, optisch und didaktisch aufbereitet
Pierre Ibisch machte anhand von Farben und Bildern sehr anschaulich, dass dieser Effekt bereits in ganz Deutschland überdeutlich zu beobachten ist. Sowohl in Karten und Satellitenaufnahmen des Bundesgebiets, einzelner Länder und Regionen wie auch Kommunen oder auch nur einzelner Areale – wie etwa am Melibokus bei Zwingenberg – zeigte er Zeitverläufe vergangener Jahre. Immer wieder wurde deutlich: In den letzten Jahren, vor allem seit 2018, nehmen Hitze- und Trockenstress in den Wäldern zu, die dunkel-roten Bereiche in den Karten, die als Alarmzeichen für Hitze gelten, werden ebenso zahlreicher wie die braunen Flecken, die abgestorbene Waldflächen markieren (eindrucksvoll auf den Folien des Vortrags hier zu sehen). So wechselte der Wissenschaftler immer wieder von der Makro- auf die Mikroebene und zurück, um klarzumachen: Die Klimakrise hat in die Wälder bereits überall sicht- und messbar Einzug gehalten.
Schlüsse: Was ist zu tun?
Die forstwissenschaftlichen Erhebungen, die Pierre Ibisch vorstellt, ergeben ein klares Bild: Es geht den Wäldern dort noch am besten, wo die wenigsten menschlichen Eingriffe stattfinden. Das bezieht sich sowohl auf die Kalamitätsflächen, die aus ehemaligen Fichtenmonokulturen entstanden sind – dort sind die gemessenen Temperaturen 10-15° C niedriger, wenn man tote Fichten stehen lässt, anstatt sie abzuräumen -, als auch auf Buchen- und Mischwälder, deren Waldinnenklima von einem geschlossenen Kronendach und einem hohen Totholzanteil abhängt. Beides hält Feuchtigkeit und kühle Luft im Wald. Daraus ergebe sich Ibisch zufolge, was zu tun ist: Wälder ihren Selbsterhaltungs- und Selbstheilungskräften überlassen, menschliche Eingriffe so weit wie irgend möglich minimieren. Das gilt auch für den Ansatz “Aktiver Waldumbau”, demzufolge Setzlinge “klimastabiler Baumarten” gepflanzt werden, um die vermeintlich gefährdeten einheimischen Arten zu ersetzen. Ibisch zufolge sei dieser technokratische Ansatz deutlich risikobehafteter, als auf die Selbstheilungskräfte hiesiger Ökosysteme zu setzen.
Diskussion: Kontroversen und weiterhin offene Fragen
Die anschließende Diskussion war getragen von gegenseitigem Respekt und wohlwollender Lösungsorientierung. Besonders hervorzuheben ist der respektvolle Austausch mit den MitarbeiterInnen des Forstamts Dieburg, die ihre Perspektiven auf und Sorgen um die Waldbewirtschaftung vortrugen. Alle Beiträge und Fragen hier unmöglich vollumfänglich wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen (siehe dazu das Video, das wir bald veröffentlichen werden). Erwähnenswert ist jedoch vor allem die Frage nach dem Bedarf an Holz, der ja unbestritten weiterhin besteht und damit diametral der Empfehlung entgegenläuft, menschliche Eingriffe in den Wald zu unterlassen. Aus seiner Sicht als Biologe wollte Pierre Ibisch diese Frage nur zum Teil beantworten: Man könne vom Wald auf Dauer höchstens nur das verwenden, was er produziert – schädige man ihn weiterhin so, dass er abstirbt, könne man auch immer weniger und irgendwann gar nichts mehr bekommen. Wie man als Gesellschaft mit dem sich daraus zwingend früher oder später ergebenden Mangel umgeht, müsse man demokratisch unter dem Stichwort “Suffizienz” verhandeln. Was sich vor diesem Hintergrund jedoch eindeutig verbietet, ist die Holzverbrennung, insbesondere die industrielle Verfeuerung in Kraftwerken.
Die Folien des Vortrags hier als PDF-Download:
Ibisch, Pierre (2023): Unser Wald auf dem Weg in die Heißzeit. Vortrag am 10.5.2023 für das Netzwerk Bergsträßer Wald. Bickenbach (12.05.2023).
Ein Artikel zu Vortrag und Veranstaltung im Darmstädter Echo am 12.5.2023: Die Bergstraße auf dem Weg in die Heißzeit.
Text: Gunnar Glänzel
Fotos: Yvonne Albe und Tino Westphal
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