Der Waldwirtschaftsplan in Seeheim-Jugenheim deckt sich nicht mit den Beschlüssen der Gemeindevertretung – Können Waldbegehungen diesen Widerspruch auflösen?
Der Klimawandel setzt unseren Wäldern mit zunehmender Hitze, lang anhaltenden Dürren und plötzlichen Starkregenereignissen enorm zu. In der Folge sterben seit 2018 jedes Jahr viele Bäume unterschiedlichen Alters ab.
Vor diesem Hintergrund ist es nach Ansicht von NABU Seeheim-Jugenheim und Netzwerk Bergsträßer Wald geboten, die bisherigen Methoden der konventionellen Forstwirtschaft zu hinterfragen. Ein Weiter-So dürfe es nicht geben. Der Fokus müsse jetzt auf der Priorisierung von Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes liegen, um ihn für nachfolgende Generationen zu bewahren.
Die Beschlüsse der Gemeindevertretung Seeheim-Jugenheim vom letzten Jahr seien daher gut und zukunftsgerichtet, zunächst einen Einschlagstopp (Moratorium) in den älteren Buchenwäldern zu verhängen, bis ein Runder Tisch mit unterschiedlichen Experten über eine naturnahe Waldbewirtschaftung beraten und Empfehlungen erarbeitet hat.
Aufgrund verzögernder politischer Prozesse startete der Runde Tisch deutlich später im Jahr als vorgesehen. Mit den bisher erst zwei einberufenen Sitzungen konnte noch kein abgestimmtes und naturnahes Waldkonzept erarbeitet werden. Demnach gilt nach wie vor das vom Gemeindeparlament beschlossene Moratorium.
Im Rahmen des jährlich abzustimmenden Waldwirtschaftsplans tagten nun am 21.11.23 der Ausschuss für Umwelt- und Naturschutz (AfUuN) und der Haupt- und Finanzausschuss (HFA) der Gemeinde, um den lokalen Erntevorschlag von HessenForst für 2024 zu beraten. Darin wird eine im Vergleich zum letzten Jahr leicht reduzierte Erntemenge veranschlagt. Diese ist aber nach Ansicht des NABU und des Netzwerks vor allem im Ober-Beerbacher Wald in Anbetracht des Zustands des Waldes noch viel zu hoch und würde den Wald weiter destabilisieren. Auch in ihrer Vitalität eingeschränkte Bäume, die hier entnommen werden sollen, seien für den Erhalt des Waldinnenklimas und Förderung der Artenvielfalt sowie Wasserspeicherfähigkeit bedeutend, wie Yvonne Albe vom NABU Seeheim-Jugenheim in ihrem Redebeitrag in der Sitzung ausführte.
Die SPD sprach sich beharrlich dafür aus, die Hauptnutzung (Ernte älterer Bäume) entsprechend dem nach wie vor gültigen Beschluss vom letzten Jahr in der Wuchsfläche Bergstraße/Odenwald auszusetzen und die Ergebnisse des Runden Tisches abzuwarten. Dennoch haben der AfUuN und der HFA dem Vorschlag von HessenForst am Ende mehrheitlich zugestimmt. Letztes Jahr hatten viele Bürger der Gemeinde ihren Unmut zu den geplanten Fällungen in der Gemeindevertretung lautstark geäußert und viele PolitikerInnen zum Nachdenken gebracht. Jetzt wurden die (im Vergleich zum letzten Jahr nur wenig reduzierten) Erntemengen von den meisten PolitikerInnen toleriert. Eine Streichung der Hauptnutzung aus dem Waldwirtschaftsplan wäre stattdessen nach Ansicht der Naturschützer folgerichtig gewesen. Da die Gemeinde über 60 000 Euro aus den Fördermitteln des „Klimaangepassten Waldmanagements“ des Bundes bekommen wird, habe sie auch ausreichend finanziellen Spielraum, ihren älteren Wäldern eine konsequente Schonzeit einzuräumen.
Öffentliche Waldbegehungen mit dem Revierförster sollen nun zur Einschätzung der geplanten Holzerntemaßnahmen in älteren Beständen stattfinden, um den Widerspruch zwischen dem Waldwirtschaftsplan, der die Hauptnutzung zulässt, und dem Moratorium, das diese ausschließt, aufzulösen. Die Begehungen sollen dabei helfen, die Eingriffe zu visualisieren und zu beurteilen. Sollte diese Kompromisslösung auch in der Gemeindevertretung am 14.12.2023 eine Mehrheit finden, sei es aber aus Sicht der Naturschützer unbedingt erforderlich, dass ein unabhängiger externer Experte (Biologe oder Forstexperte für naturnahen Waldbau) bei den Begehungen dabei ist, der die ökologischen und klimatischen Folgen der Eingriffe einschätzt und je nach Beurteilung mögliche Alternativen beim Umgang mit dem Wald aufzeigt.
Der NABU und das Netzwerk empfehlen zudem dringend, den Holzvorrat im Wald weiter aufzubauen und den Totholzanteil zu erhöhen. Seeheim-Jugenheims Wälder haben im Vergleich zum Bundesdurchschnitt und wissenschaftlichen Empfehlungen einen erschreckend geringen Totholzanteil (Ermittlung aus der Forsteinrichtung 2016: 2,42 Festmeter pro Hektar). So sollte nach Ansicht der Naturschützer bis zum Erreichen von wissenschaftlichen Empfehlungen (mindestens 30-60 Festmeter pro Hektar) Holz aus der Verkehrssicherung im Wald verbleiben und ältere und auch kranke Bäume nicht gefällt werden, um dadurch Artenvielfalt, Wasserhaushalt und künftiges Waldwachstum zu fördern. Beispielgebend kann der Umgang der Stadt Darmstadt mit Verkehrssicherung und geschwächten Bäumen sein: Hier werden an stark frequentierten Wegen mit Hilfe einer Hebebühne zunächst nur abgestorbene Äste entnommen, um den Baum zu erhalten. Erst bei einer akuten Gefahr wird ein Baum gänzlich gefällt. Dieser verbleibt aber als Totholz vor Ort und dient dem Ökosystem als Grundlage für die kommenden Waldgenerationen.
Gemeinsame Pressemitteilung des NABU Seeheim-Jugenheim e.V. und des Netzwerks Bergsträßer Wald
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