Aug 012021
 

Nach der Meldung im Juli 2021 über den ersten Wolfsnachwuchs in Hessen – 160 Jahre nachdem in unserem Bundesland der letzte Wolf geschossen wurde, hatte ein kurzer Artikel im NABU-Blog und auf der facebook-Seite der NABU-Gruppe Seeheim zum Aufbau wolfsabweisender Zäune von 110 cm Höhe plus zusätzlichem Flatterband für die NABU-eigenen Schafe durch ehrenamtliche Helfer eine heftige Debatte in den sozialen Medien ausgelöst.

Der NABU heißt den Wolf willkommen und sieht im Rahmen des staatlichen Wolfsmanagements einen wirksamen Herdenschutz und effektive Unterstützung der Tierhalter:innen als wichtigen Schutz für den Wolf. Gleichzeitig ist der NABU in vielen Ortsgruppen als Schafhalter natürlich auch selbst direkt betroffen von der Ausbreitung der Wölfe.

Nun ist der Ton in sozialen Medien bekanntermaßen eher rau und beim Publikum kann man Fachwissen nicht immer unterstellen. Eine heftige Debatte bei den Stichworten Wolf, Schafhaltung und NABU ist also durchaus erwartbar, und der NABU stellt sich gern der Diskussion. Erstmals aber mussten in erheblichem Umfang beleidigende Inhalte gelöscht und nach einer Woche die Diskussion zum Artikel geschlossen werden (eher urlaubsbedingt, als aus Gründen der Diskussionsmüdigkeit).

Eine Empfehlung in der Diskussionsrunde war mehrfach, sich doch die Erfahrungen in den sächsischen Wolfsgebieten anzusehen. Die Gelegenheit dazu ergab sich zufällig direkt in der letzten Juliwoche: In der Lausitz gibt es bekanntermaßen seit dem Jahr 2000 regelmäßig Nachwuchs bei den Wölfen und demnach über 20 Jahre Erfahrung im Zusammenleben mit dem Wolf. Das Besuchsgebiet in der Lausitz südlich Zittau ist explizit ausgewiesen als Gebiet, in dem sich erhebliche betriebswirtschaftliche Werte einer landwirtschaftlichen Schafhaltung befinden und überlappt mit dem Streifgebiet der etablierten Wolfsrudel GHE bzw. LHE. Im Gebiet wurden auch in 2021 bereits Schadensfälle durch Wolfsübergriffe gemeldet.

Erwartbar wäre in einem solchen Hochrisikogebiet, dass den Hinweisen des Sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LFNUG) zum „empfohlenen Schutz“ gefolgt wird (die Hinweise des LFNUG ähneln denen in Hessen sehr).

Ernüchternd und erfüllt mit Sorge muss festgestellt werde: das ist häufig nicht der Fall.

Das überraschende Ergebnis der unsystematischen und nicht repräsentativen Beobachtungen im Gebiet südlich Zittau bei Haltung von Pferden, Ponys und Schafen: der Mindestschutz (z.B. mit 90 cm hohen Netzzäunen bei Schafen, die auch in Südhessen heute überwiegend eingesetzt werden) wird eingehalten. In keinem Fall aber wurde der von der LFNUG in Hochrisikogebieten empfohlene Herdenschutz vorgefunden. Immer wieder fielen stromlose Netzzäune auf und Zäune in unmittelbarer Waldnähe mit durchhängenden Zaunfeldern, so dass die effektive Zaunhöhe (stromlos!) noch deutlich unter 50 cm lag. Im Schadensfall würde ein Rissgutachter – sehr zu Recht – von einem geradezu fahrlässigen Mangel bei der Zäunung ausgehen und von einer gravierenden Mitschuld am Leid der betroffenen Schafe durch den verantwortlichen Schafhalter.

Zitat LFNUG: „Für Schafe und Ziegen werden mobile Elektrozäune von mindestens 90 cm Höhe einschließlich der benötigten Weidestromgeräte (Wolfs-/Wildabwehrgeräte) und Batterien gefördert. Es wird jedoch empfohlen, für einen verbesserten Schutz der Tiere mobile Elektrozäune mit einer Höhe von 100 cm bis 120 cm Höhe zu verwenden,“ … nach erfolgten Wolfsübergriffen zusätzlich ein stromloses Flatterband, bei großen Herden auch ein Herdenschutzhund.

Herdenschutzhunde wurden im Gebiet nicht beobachtet. Da die beobachtete Herdengröße im Kleinbestand aber häufig unter 100 Muttertieren lag, wären die auch nicht wirtschaftlich einsetzbar.

Natürlich waren die Beobachtungen im Gebiet südlich Zittau keine repräsentative Stichprobe, aber Sorge kommt schon auf, wenn selbst nach 20 Jahren Erfahrungen der Schafhalter:innen in der Lausitz im direkten Kontakt mit Wölfen so wenig Verhaltensänderungen im Zaunbau sichtbar werden. Es besteht die Befürchtung, dass Wölfe als hochintelligente Jäger hier schnell lernen, Netzzäune nicht als echtes Hindernis wahrzunehmen und die Erfahrung machen, dass Schafe sehr viel einfachere Beute sind als Wildtiere. Natürlich werden Namen von einzelnen Schafhaltern, die den Herdenschutz nicht ausreichend umsetzen, aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte nicht öffentlich gemacht. Allerdings werden Wolfsübergriffe häufig pauschal so gewertet: der empfohlene Wolfsschutz funktioniert nicht. In den vorgefundenen zwei Herden wäre ein Übergriff jedenfalls vorhersehbar erfolgreich – mit fatalen Folgen für die betroffenen Schafe und am Ende auch für den Wolf. Ebenso vorhersehbar ist dann schnell die Forderung auf dem Tisch, den Räuber gezielt zu entnehmen – im Zweifel auch das gesamte Rudel.

Über die Ursachen für diese Beobachtung kann nur spekuliert werden – aber ohne Zweifel besteht hier Handlungsbedarf.

Zwei schlechte Beispiele

Fall 2: Niedergedrückter stromloser Netzzaun mit weniger als 50 cm effektiver Höhe am Waldrand außerhalb einer Ortschaft – dieser Zaun steht zwischen den Wölfen des etablierten Wolfsrudels LHE und 50 Muttertieren.

Zwei größere Schafherden, jeweils unter hundert Muttertieren, beide in unmittelbarer Waldnähe, beide ca. 500 m abseits der nächsten Ortschaft, beide ohne Herdenschutzhunde (beide auch ohne Frischwasser und Unterstand und ohne ausgewiesene Kontaktadresse des Schafhalters :o( – was keine Relevanz für die Wolfsabwehr hat, jedoch gesetzlich vorgeschrieben ist). In beiden Fällen waren die Zaungassen nicht ausgemäht und die Zäune wurden stromlos vorgefunden (Bildnachweis: ein Muttertier ruht angelehnt an das Zaunnetz). Da die Beobachtung auch am Abend gemacht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Tiere die Nacht auf dieser Weide verbringen.

Gerade am Waldrand war der Zaun auch noch niedergedrückt – dieser Zaun steht zwischen den Wölfen des Rudels LHE und 50+ Muttertieren. Hier wird der Herdenschutz eklatant vernachlässigt und mögliches Tierleid in Kauf genommen.

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