Jan. 022023
 

Moorschutz heißt Arten- und Klimaschutz

Wenn wir über Moore sprechen, müssen wir über die Klimakrise und Krise der Artenvielfalt reden.

Moore sind sehr spezielle Lebensräume, geprägt von Feuchtigkeit, häufig nährstoffarm mit vielen Tieren und Pflanzen, die wir heute auf Roten Listen führen – gerade weil 95% der Moore in Deutschland zerstört wurden bis in die jüngste Zeit.

Klimafunktion

Die Klimafunktion der Moore hat viel mit einer unscheinbaren faszinierenden Pflanze zu tun – den Torfmoosen, die faktisch „unendlich“ wachsen. Während sich die Pflanze nach oben hin entwickelt, stirbt die Basis zwar ab, zersetzt sich aber nicht vollständig. Solange sie in feuchtem Medium steht, entsteht aus dem unvollständig zersetzten Gewebe wertvoller Torf.

Torf ist ein perfekter Kohlenstoff-Speicher, viel effektiver als jeder andere Landlebensraum, effektiver sogar als Wälder – solange das Torfmoos feucht steht. Moore im Hessischen Ried wuchsen nach dem Ende der letzten Eiszeit über 10000 Jahre lang.

Wasserspeicher

Moore enthalten bekanntermaßen sehr viel Wasser – sie wirken wie ein Schwamm in der Landschaft. Sie stabilisieren den Grundwasserspiegel und sie sorgen unter anderem dafür, dass es in ihrer Umgebung kühl bleibt.

Je mehr intakte Moore wir also haben, desto besser ist das für unser Klima.

Fotos: NABU/Tino Westphal – Pfungstädter Moor – Im Vordergrund aufgeschütteter Teilbereich in extensiver Beweidung

Was bedeutet Trockenfall

  • Zersetzung der Torfböden zu Klimagasen

Moorböden in den Altneckarschlingen im Hesschen Ried unterliegen seit über 50 Jahren oxidativem Abbau. Bei der Entwässerung der Moore kommt der über Jahrtausende im Torf gebundene Kohlenstoff mit Sauerstoff in Berührung und oxidiert. Damit gelangen nicht nur riesige Mengen CO2 in die Atmosphäre, sondern auch das über 300 Mal klimaschädlichere Lachgas (N2O). Die gesamte Klimabilanz eines Moores wird daher in CO2-Äquivalenten angegeben, die anteilig alle klimarelevanten Gase enthalten.

Bundesweit werden so etwa 44 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich aus entwässerten Moorböden freigesetzt. Das entspricht etwa fünf Prozent der Gesamtemissionen der Bundesrepublik Deutschland.

Trockenlegung im Hessischen Ried bedeutet aber auch:

  • Bodenabsenkungen von teilweise über einem Meter

Im Hesschen Ried fallen Torfschichten zusammen, der Boden sackt ab, lokal bis zu 1 Meter. 1 Die Altneckarschlinge westlich des Pfungstädter Moores ist heute eine abflusslose Senke. Wenn der Boden absinkt, stehen in feuchten Perioden wie 2000/2001 Keller unter Wasser, an Straßen und Häusern im Ried entstehen Risse.

Maisäcker werden zu flachen Seen und riesigen Schilfflächen – den Verlauf der alten Neckarschlingen konnte man in der Feuchtperiode 2000/2001 wunderbar im Luftbild sehen: In kurzer Zeit waren westlich des Pfungstädter Moores ungewollt neue Feuchtgebiete entstanden – Vogelfreunde fanden das toll, Landwirte nicht so sehr. Die Erkenntnis ist die: Landwirtschaft auf Moorböden ist riskant und nicht nachhaltig. Dahinter steht aber auch eine gute Nachricht: Selbstheilung! Feuchtgebiet können sich verblüffend schnell wieder regenerieren, Artenvielfalt kann wieder zurückkommen.

Rettung durch Wiedervernässung – was bewirkt die Wassereinleitung

Bis zu 300.000 Kubikmeter gereinigtes Rheinwassser sollen in das NSG fließen, Kosten: 200.000 EUR/Jahr.

Viele trockengelegte Moore sollen wiedervernässt werden in Deutschland, aber aus einem toten Moor wieder ein aktives Moor zu machen, das ist gar nicht so einfach..

Kurz- bis mittelfristig aber besteht gute Hoffnung, die weitere Freisetzung von CO2 zu stoppen, und für einen Erhalt des Pfungstädter Moores als Feuchtgebiet.

Auf längere Sicht soll sich in einem wiedervernässten Moor neuer Torf bilden und der Stoff-Fluss umkehren: Kohlendioxid wandert dann aus der Atmosphäre in den Boden und wird dort dauerhaft gespeichert. Das braucht aber Zeit. Ziel bleibt es, langfristig Moore zu aktivieren, damit Moore wieder effektiv Treibhausgase binden.

Realistisch erwartbar sind Effekte auf die Artenvielfalt des Feuchtgebiets in den Schilfgebiete, besonders nahe den Mulden und in den Wasserrinnen.

Pfungstädter MoorGeschichte

Das Gebiet ist Teil des alten Neckarflussbetts. Das Niedermoor und die Moorböden  folgen weitgehend den alten Neckarschlingen im hessischen Ried. Grundwasser fand sich überall dicht unter der Oberfläche und hielt das Moor feucht.

Es gab, wie in fast allen Moorgebieten in Deutschland, eine Tradition des Torfabbaus über 100 Jahre bis 1923. Spuren als rechteckige Strukturen im Boden sind bis heute sichtbar

Das ausgetorfte alte Kernmoor diente der Schilfrohrkultur, Entwässerungsgräben für Rohrernte wurden angelegt und bestehen teilweise bis heute.

Ab 1929 begann die  flächendeckende Entwässerung im hessischen Ried.

Das in Tausenden von Jahren gewachsene Moor wurde in wenigen Jahrzehnten vernichtet.

Im Restmoor wurde schon 1955 ein NSG ausgewiesen, später (deutlich verkleinert) auf 97 ha neu ausgewiesen 1984, geändert 1997.

Nach Ausweisung als NSG wurde wegen des Vogelschutzes die Schilfmahd immer mehr eingeschränkt. Bis in die 60er Jahre gab es große offene Wasserflächen, das Moor war teilweise unbegehbar.

Ab 60er Jahre Verfüllungen und Errichtung einer Kreismülldeponie am Nordrand des Moores, teilweise in die ausgetorften Senken und damit in den Bereich der grundwasserführenden Schichten hinein.

Mit dem Autobahnbau kam der Kiesabbau – in den 60er und 70er Jahre entstehen Seen im Umfeld, wie der Moorsee. Teile des Moores werden mit Abraummaterial verfüllt.

Massive Absinken der Grundwasserstände seit den 70er Jahren

Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist das NSG vor allem wegen der übermässigen Wasserentnahme im Hessischen Ried weitgehend entwertet. Durch den starken Trockenstress konnten nur noch wenige moortypische Arten überleben.

Durch das Absinken des Grundwasserspiegels fielen auch die umliegenden Feuchtgebiete trocken und wurden zum großen Teil zu Ackerland umgebrochen. Der Tiefststand des Grundwassers wurde 1977 erreicht, der Moorkörper verlor damit den Grundwasseranschluss in weiten Bereichen vollständig. Direkte Folge waren wiederholte Schilfbrände und ein großer Moorbrand 1976.

Erste Rettungsversuche durch Naturschützer

Um den Wassermangel zu lindern, wurde Wasser von aussen zugeführt – leider waren dies zunächst ungeklärte Abwässer aus der Kläranlage Pfungstadt in den Jahren 1975 bis Anfang 1977. Eine nachhaltige Vernässung wurde nicht erreicht. Die Folgen der Abwassereinleitung aber sind noch heute zusehen. Der starke Nährstoffeintrag führt zu Brennnesselfluren (Brennnessel ist Stickstoffzeiger).

In den 80er Jahre erfolgte zeitweise eine Wassereinleitung aus Osten aus dem Elsbach, folgend dem natürlichen Wassergefälle aus dem Odenwald. Auch zur Sicherung gegen weitere Brände. Aber auch diese Zuwässerung wurde später wieder eingestellt. Es kam zu Nutzungskonflikte, aber die Maßnahme war wegen zu geringer Wassermengen ohnehin nie richtig erfolgreich, es gibt viel zu wenig Überlaufwasser.

Ab 1998 erfolgte erstmals eine Wiedervernässung mit Rheinwasser aus Biebesheim. Ziel war es, moortypische Grundwasserstände zu wahren. Mit nachweislich zumeist positiven Auswirkungen der künstlichen Bewässerung in 1999 bei zwei Tiergruppen, den Vögeln und den Laufkäfern (46 Arten 2001). Aber auch dieser Rettungsversuch wurde – unter anderem aus finanziellen Gründen – wieder eingestellt.

Eine bemerkenswerte Verbesserung der ökologischen Verhältnisse wurde in Studien des Jahres 2002 festgestellt, nach mehreren sehr feuchten Jahren mit einem deutlichen Grundwasseranstieg 1998-2001 und der zusätzlichen Bewässerung. Nach 2009 gab es allerdings keine systematischen Untersuchungen im Gebiet mehr.

Besonderheiten des Pfungstädter Moores

Eingebautes Rinnensystem 2009…2015 – Ein Notbehelf

Finanziert von Naturschutzverbänden HGON, BUND und NABU wurden zwischen 2009 und 2015 vorhandene Mulden im Gelände vertieft und Rinnensysteme angelegt. Ziel war eine dauerhaften Vernässung wenigstens kleiner Bereiche zwecks Erhalt von Resten moortypischer Pflanzen. Vorhandene Geländestrukturen aus der Zeit des Torfabbaus und der Entwässerung wurden genutzt, der Wasserabfluss aus dem Gebiet wurde gebremst.

Bis in die letzten Jahre konnte so wenigstens temporär offenes Wasser im Moor erhalten werden

Eine der künstlich vertieften Rinnen im Moorkörper – 2021 noch mit Wasser bespannt

Im Kerngebiet des Restmoores halten sich dank der Vertiefungen noch aquatische Lebensformen

Amphibien: Recht verbreitet finden sich Erdkröten (besonders im benachbarten Moorsee), Knoblauchkröten, ansonsten Wasserfrösche und Braunfrösche (Grasfrosch und Springfrosch), sowie Teichmolche.

Reptilien: Blindschleiche, Ringelnatter, Zauneidechse, Waldeidechse

Vögel: Dank des großen Schilfbestandes auch spezielle an Feuchtgebiete gebundene Vögel, wie Bekassine, Drosselrohrsänger und Zwergrohrdommel.

Insekten: 46 Arten Laufkäfer wurden nachgewiesen, dank der Rinnen auch eine Vielzahl von Libellenarten

Eine moortypische Vegetation fehlt aber.

  • Heutiger Zustand

Die weitgehende Degeneration des Naturschutzgebietes Pfungstädter Moor ist in erster Linie auf Wassermangel zurückzuführen. Aktuell reicht die Grundwasserabsenkung im Durchschnitt 3 Meter unter Geländeoberkante mit klar negativer Tendenz – wegen der Dürreperiode ist die Lage im Kernmoor so schlimm wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Die angelegten Rinnensysteme und Mulden sind akut vom kompletten Austrocknen bedroht, führen nur noch temporär Wasser. Botanisch dominiert auf großen Flächen artenarmer Schilf/ Brennesselbestand.

Die Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der Situation vor Ort beruht auf der geplanten Wiedervernässung mit Rheinwasser.

  • Was kann man neben der Wiedervernässung noch tun?

Beweidung mit Rindern und Schafen weiterführen (partiell, nicht in den Schilfgebieten [Schilf erhalten: Überwinterungsgesellschaften für Insekten]), um weitere Verbuschung zu verhindern, sonst werden die Schilfflächen schnell von Weiden und Erlen verdrängt.

Wissenschaftliche Begleitung wäre notwendig – seit 2009 keine systematische Untersuchung, kein gezieltes Monitoring mehr. Das kann nicht vom Ehrenamt geleistet werden.

Moore wieder zu aktivieren, das ist nicht einfach.

Langfristig: Naturnaher Zustand des Grundwassers: Die Aufspiegelung als akute technische Lösung ist wichtig und ohne Zweifel sinnvoll – aber sie ist natürlich nicht nachhaltig! Insbesondere besteht immer die Gefahr, dass Massnahmen in einer neuen Legislaturperiode beendet werden oder aber die finanziellen Aufwände wegen einer der unweigerlich kommenden neuen Krisen dem Rotstift zum Opfer fallen. Irgendwann sollte eine nachhaltige „natürliche“ Wasserversorgung wieder hergestellt werden. Dafür aber muss über die generelle Frage unseres viel zu hohen Wasserverbrauchs gesprochen werden. Noch immer liegt die Wasserentnahme über der Rate der natürlichen Grundwasserneubildung.

Wassersparen ist hier eine der wichtigen Ansätze!

Was können wir tun, was kann jede und jeder tun: NaturschützerInnen sollten generell auf Bodenverbesserer und Blumentopferde auf Torfbasis verzichten, da gibt es gute Alternativen – so können alle mithelfen, dass der Torfabbau aufhört.

Grundwasserstandsganglinie

Die Grafik zeigt den langjährigen Verlauf des Grundwasserstandes an der Messtelle ONB-00-NA2 am Nordrand des Restmoores des NSG Pfungstädter Moor. Eine fatale negative Tendenz wird hier sichtbar: Mit 3 Metern Grundwasserspiegel unter der Geländeoberkante verliert das Moor seinen Anschluss ans Grundwasser und damit seinen Charakter als Feuchtgebiet.

Der Abstand zwischen der Geländeoberkante und dem Grundwasserstandsniveau wird als Grundwasserflurabstand bezeichnet. Von ihm hängt z.B. ab, ob die Vegetation vom Grundwasser beeinflusst wird oder nicht.

Aus der langjährigen Beobachtung der Grundwasserstände sind sowohl die jahreszeitlich bedingten Schwankungen als auch die Auswirkungen wechselnder trockener und nasser Perioden bekannt. Daher kann jedem Richtwert ein individueller Schwankungsbereich zugeordnet werden. Der untere Wert dieser Schwankungsamplitude wird als Unterer Grenzgrundwasserstand bezeichnet. Der Richtwert und der Untere Grenzgrundwasserstand ergeben sich aus dem Grundwasserbewirtschaftungsplan Hessisches Ried (GWBP) des Regierungspräsidiums Darmstadt, der 1999 in Kraft getreten ist.

Karte: Oranger Punkt markiert die Messtelle ONB-00-NA2 am Nordrand des Restmoores

Messtelle ONB-00-NA2 am Nordrand des Restmoores

Abweichung Grundwasserabstand vom langjährigen Mittelwert

Messtelle ONB-00-NA2 am Nordrand des Restmoores

Grafik: Abweichung Grundwasserabstand vom langjährigen Mittelwert – Messtelle ONB-00-NA2 am Nordrand des Restmoores

Die Grafik zeigt an, ob die gemessenen Grundwasserstände oberhalb (blau) oder unterhalb (beige) der jeweiligen Monatsmittelwerte des Grundwasserstandes („Wellen“ in der Mitte der Grafik) liegen. So werden die Auswirkungen anhaltender Feucht- oder Trockenphasen besonders deutlich.

Die Monatsmittelwerte werden jeweils für den Zeitraum 01.04.1999 bis zum jüngsten Messwert berechnet. Der Start des Betrachtungszeitraums entspricht dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundwasserbewirtschaftsungsplans.

Aktuell nähern sich die Grundwasserabständer von der Geländeoberkannte wieder den schlechten Zahlen aus der Trockenperiode der Anfang 90er Jahre. Der Moorkörper droht seinen Grundwasserkontakt erneut vollkommen zu verlieren.

Quellen:

1 Gerdes H and Wiegand M – Collurio 18.2000

2 Fritz H-G – Collurio 22.2004

3 Forst M – Collurio 19.2001

5 Wolf – Collurio 27.2010

5 https://www.hessenschau.de/panorama/pfungstaedter-moor-300000-kubikmeter-wasser-sollen-diesen-klimakiller-stoppen-v1,pfungstaedter-moor-100.html

  2 Responses to “Wiedervernässung des Pfungstädter Moors”

  1.  

    Vielen Dank für die Bereitstellung dieser umfangreichen Informationen. Ich bin beeindruckt, wieviel Fachwissen zu den unterschiedlichsten Themen in der NABU Seeheim Gruppe vorhanden ist!
    Wie wäre es mit einer naturkundlichen Führung/Ortsbegehung am Pfungstädter Moor, vielleicht auch öffentlich, damit sich möglichst viele Bürger ein Bild machen können und sensibilisiert werden.

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