Dez. 172022
 

Zu den Bauplänen Seeheim südlich Zeppelinweg

Die Kommune Seeheim-Jugenheim plant in Seeheim südlich Zeppelinweg eine permanente Versiegelung auf 7.000 Quadratmeter Ackerland, auch ein schmaler Gehölzstreifen würde verlorengehen.

Fotos: NABU – Geplantes Baugebiet am Zeppelinweg in Seeheim

Die Fläche ist schon seit einigen Jahren im Gespräch für eine mögliche Wohnbebauung – schon damals war als Problematik die Frischluftzufuhr benannt. Jetzt sollen hier bis zu 11 Meter hohe Gebäude entstehen.

Luftbild: Rot markiert – geplante Versiegelung im Offenland zwischen Seeheim und Jugenheim

Scheinbar unaufhaltsam geht der Flächenfraß auch in der Gemeinde Seeheim-Jugenheim weiter – mit gut belegten und vorhersehbaren Folgen für Klima und Biodiversität.

Luftbild: Rot markiert – Geplante permanente Bodenversiegelung im Bereich Seeheim südlich Zeppelinweg

Parallel werden weitere Baupläne im Bereich der unbebauten Lücke zwischen den alten Siedlungskernen Seeheim und Jugenheim bekannt: am Schuldorf südlich des Christian-Stock-Stadions sollen weitere Flächen versiegelt werden, angeblich nur temporär für 15 Jahre. Hier sollen sogar zusätzliche Autostraßen angelegt werden für Elterntaxis. Und mindestens diese Verkehrsinfrastruktur würde bleiben: Versiegelung bewirkt weitere Versiegelung, ein altbekannter Teufelskreis.

Das „Beschleunigte Verfahren“

Das sogenannte Beschleunigte Verfahren darf im Baurecht bei Innenbebauung auf Flächen bis maximal 70.000 Quadratmeter angewendet werden. Dann kann auf Bürgerbeteiligung verzichtet werden, die Notwendigkeit der Umwelt­prüfung entfällt, auch Umweltverbände und -behörden bleiben dann außen vor. Aus diesem Grund ist es seit Jahren schlechte Praxis in bauwilligen Kommunen, mit Bebauungsplänen knapp unterhalb des Radars des Baugesetzes siedlungsnahe Grün- und Freiflächen Stück für Stück in bewährter Salamitaktik zuzubauen. Leider wurde und wird diese Praxis auch in Seeheim-Jugenheim geübt: nach Auskunft des Bauamtes wenigstens im vorliegenden Fall der geplanten Bebauung südlich Zeppelinweg.


Lokale Klimaeffekte – Klimaökologie

In Folge des Klimawandels sind die Menschen einer zunehmenden Hitzebelastung ausgesetzt.

Vor dem Hintergrund negativer Auswirkungen von Hitzeereignissen auf das menschliche Wohlbefinden und die
Gesundheit müssen sich Kommunen verstärkt
mit den Auswirkungen des Stadtklimas und den
spezifischen Effekten in bebauten Bereichen
auseinandersetzen.

Karte: hellrot gefärbt: Versiegelung und Wärmeinseln durch Bebauung im Bereich der Gemeinde Seeheim-Jugenheim. Rote Kreise: geplante zusätzliche Versiegelung im Bereich Schuldorf und südlich Zeppelinweg. Blaue Pfeile: vorherrschende Kaltluftströme

Die innerörtliche Grün- und Freiflächen zwischen den Teilgemeinden Seeheim und Jugenheim haben eine hohe bioklimatische Bedeutung und gleichzeitig eine hohe Empfindlichkeit gegenüber einer Nutzungsintensivierung.

In Teilbereichen ist die unbebaute Lücke zwischen den alten Siedlungskernen von Seeheim und Jugenheim auf unter 150 Meter zusammengeschmolzen. In diesen Bereich weitere insbesondere mehrgeschossige Bauten zu errichten, bewirkt eine Riegelfunktion für den Luftaustausch.

Es ist unbedingt zu vermeiden, hier zusätzliche Austauschbarrieren im Umfeld des bebauten Areal zu schaffen. Insbesondere im Bereich der Hanglagen ist der Schutz und Erhalt der klimatischen Ausgleichsfunktion der letzten Baulücken wichtig für den Luftaustausch von den Kaltluftentstehungsgebieten – hier dem waldreichen Tannenberg-Gebiet – und den Siedlungsräumen in den Tallagen.

Quelle: DWD https://www.dwd.de/DE/leistungen/zeitreihen/zeitreihen.html

Freihalten von Transportbahnen für Kaltluftzufuhr

Karte: Forschungsprojektes KLARA-Net. Risikofaktor Hitzestress in Seeheim-Jugenheim.

Das Forschungsprojekt KLARA-Net stellt Anpassungsstrategie an den Klimawandel für kommunen Kommunen dar und zählt als konkreten Risikofaktor für Seeheim-Jugenheim unter anderem die Hitzebelastung – eine Zunahme von Hitzewellen wird vorhergesagt. Erwartet wird zunehmender Hitzestress für empfindliche Bevölkerungsgruppen durch schwül-heiße Luftmassen z.B. in Kindergärten und Altenheimen.

Als Handlungsoptionen explizit genannt werden:

  • Entsieglung von Flächen, Schaffung und Erweiterung von Grünstrukturen und Wasserflächen zur klimatischen Verbesserung und Abmilderung von
    Starkregenereignissen.
  • Frischluftschneisen freihalten.

Die Forderung des NABU:

Bei Nutzungsänderungen sollten Detailgutachten zur klimaökologischen Situation auch unter Berücksichtigung akkumulativer Effekte auf die gesamten Gemeinde mit den Zielen „keine Verschlechterung“ und „Verbesserung“
eingefordert oder erstellt werden.

Bodenschutz

Der Boden ist wie Luft, Wasser oder Licht eine natürliche und unentbehrliche Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere und Menschen. Nur auf intakten Böden kann die Landwirtschaft dauerhaft gesunde Nahrungsmittel produzieren. Sauberes Grundwasser kann nur garantiert werden, wenn unsere Böden unversehrt bleiben. Der Boden ist kaum erneuerbar und steht damit als Ressource nur begrenzt zur Verfügung.

Noch immer gehen pro Tag 2,6 Hektar Fläche an Offenland in Hessen verloren. Die Kommune plant in Seeheim südlich Zeppelinweg eine permanente Versiegelung auf 0,7 Hektar Ackerland, auch ein schmaler Gehölzstreifen würde verlorengehen.

Die Folgen sind schwerwiegend: die Funktion der Grün- und Freiflächen als Kohlenstoffspeicher, als Lebensraum, als Klimaanlage, als Wasserspeicher und als wirksamer Hochwasserschutz geht verloren. Mit der permanenten Versiegelung nimmt sich die Gemeinde Optionen für ein künftig geschickteres Umgehen mit den Herausforderungen der Klima- und Artenkrise. So erwarten Stadtplaner von kühlenden Bäumen und Sträuchern Hilfe, doch zunehmend brauchen Pflanzen innerhalb der Bebauung selbst Hilfe, weil sie unter Platzmangel, verdichteten Böden, der Hitze zwischen Asphalt und Beton und einem Regenwassermanagement leiden, welches darauf abzielt, das Wasser möglichst schnell weg von der Vegetation und hin zur Kanalisation zu bekommen.

Die Aussage gilt im Übrigen auch bei „temporärer“ Versiegelung, wie im Schuldorf geplant: Boden lässt sich nicht einfach wieder herstellen, im Gegenteil. Bodenversiegelungen führen in der Regel zu einem Totalverlust der Bodenfunktionen, der nur mit hohem Aufwand rückgängig gemacht werden kann.

Alternativen?

Scheinbare Optionslosigkeit: die Gemeinde hat keinen Platz?

Wie in vielen Städten und Gemeinden stehen auch in Seeheim-Jugenheim vielerorts Immobilien leer, sind Teile des Ortskerns verödet und erschlossene Grundstücke liegen brach. Nachhaltige Ansätze, wie Aufstockungen, Sanierungen und behutsame Nachverdichtung im Innenbereich werden viel zu wenig verfolgt. Es ist nach wie vor viel zu einfach, auf bisher unversiegelten Flächen neu zu bauen.

Geplantes Baugebiet am Zeppelinweg Seeheim: Die Pufferzone zwischen dem dicht besiedelten Gebieten zwischen Seeheim und Jugenheim ist mittlerweile auf 100 Meter zusammengeschnürt. Faktisch ist das einheitliche Siedlungsband, dass wie ein Keil zwischen bewaldeten Hängen des Bergstrasse und dem Ried ausgebildet hat. Mit fatalen Folgen für Frischluftaustauch und Kühlung.

Fazit

Wie kann es sein, dass politische EntscheiderInnen wissenschaftliche Erkenntnisse komplett ausblenden und unbewiesen behaupten, dass kleinere Eingriffe irrelevant seien und keiner weiteren Analyse bedürfen? Wie kann es sein, dass die Kommunalpolitik noch heute mit offen klimaschädlicher und umweltschädlicher Politik durchkommt, ohne abgestraft zu werden von WählerInnen? Das kann eigentlich nur an immer noch mangelnder Erkenntnis über die Dramatik und das Wesen der Krisen liegen, denen die Menschheit gegenübersteht, möglicherweise auch der Verdrängung, dass diese Krisen auch in Hessen und in Seeheim-Jugenheim herrschen. Denn die Alternative wäre ja die Annahme eines tiefsitzenden Hanges zur Selbstzerstörung oder eines unfassbaren Zynismus gegenüber den kommenden Generationen.

Solange weder auf Bundes, noch auf Landesebene ausreichend Bremsen für den Flächenverbrauch gesetzlich festgeschrieben werden, liegt es in der direkten Verantwortung der kommunalen Parlamente, der Dringlichkeit der Klimakrise und der Krise der Artenvielfalt Rechnung zu tragen. Alle ihre Entscheidungen sind nur unter Klima-Vorbehalt bzw. Artenschutz-Vorbehalt zu treffen: jedwede Versieglung darf nur noch dann genehmigt werden, wenn nachweislich dadurch keine Verschlechterung der Situation erfolgt.

  Eine Antwort to “Ungebremster Flächenfraß in Seeheim-Jugenheim”

  1.  

    In der Rubrik ‚Bodenschutz‘ ist von einer permanenten Versiegelung von 0,7 ha die Rede –
    es sind wohl 7, 0 ha, wenn die eingangs genannte Fläche 70.000 qm sind.

    Ich wohne in Unna, meine Freunde schauen auf das (noch) freie Feld.

    Vielleicht finden Sie ja noch Mitstreiter für eine bessere Lösung.

    Gruß

    Manfred Scharfenberg

Kommentarfunktion geschlossen

NABU Menu