Dez. 042020
 
Das geplante Baugebiet westlich Alsbach erscheint auf den ersten Blick als weißer Block Plastik in der Landschaft

Und noch ein neues Baugebiet im Außenbereich: ein Bebauungsplan „Quartier 22“ in der Gemeinde Alsbach-Hähnlein sowie eine Änderung des Flächennutzungsplans in diesem Bereich werden geplant.

Rot markiert – geplantes Baugebiet „Quartier 22“ zwischen Sandwiese und dem alten Alsbacher Ortskern – größere Karte

Naturschützer stehen ja manchmal vor einer schwierigen Aufgabe, wenn das Artenpotential einer Fläche eingeschätzt werden soll. Nicht in diesem Fall. Eine Plastikwüste auf einem Intensivacker mit Erdbeeren. Nistmöglichkeiten für Vögel, Futter- oder Rasträume für irgendwelche Tiere – ohne jeden Zweifel: keine. Potential für Schmetterlinge oder Wildbienen? Nicht null, eher sogar negativ. Denn jedes fliegende Insekt, das von außerhalb einen Zugang in die Folienzelte findet, findet dort auch garantiert seinen schnellen Tod. Das Design dieser Folienhallen ist eine Falle für Insekten. Es gibt technisch bessere Alternativen auf dem Markt, aber die kommen nirgends zum Einsatz.

Ein intensiv-landwirtschaftlicher Albtraum in Plastik

Folienzelte mit integriertem Insektenfang: stehen die Tore offen, finden sich Nektar- und Pollen-sammelnde Wildbienen und Honigbienen in den Zelten ein – angelockt vom Blütenangebot der Erdbeeren. Sie versuchen nach der Futtersuche immer, nach oben abzufliegen in ihren Heimatstock und sterben in Massen in den Ecken der Folienzelte.

Wenn man als Naturschützer diese Form der intensivsten Land-Bewirtschaftung sieht, könnte man zum Schluss kommen, dass im Interesse der Artenvielfalt sogar kleinste Vorgärten in einer Siedlungsfläche besser sind als diese ökologische Wüste.

Der Abstand zwischen den Bebauungsgrenzen der Ortskerne um Alsbach herum ist fast überall geringer als 300 Meter. Das ist für praktisch jede Tierart mit etwas gehobeneren Ansprüchen an Platz oder Abstand zu Menschen und Hunden einfach zu wenig. Hier etwas anderes als „Allerweltsarten“ zu finden wäre absolut überraschend. Im konkreten Fall kann man sich die Suche sparen, denn das Gebiet selbst ist ja schon komplett überbaut mit Plastik. Hier findet einfach gar kein Tierleben mehr statt.

Das Siedlungsumfeld ist schon heute zu kleinräumig geworden für viele Arten

Selbst für früher häufige Kulturfolger des Menschen, wie Schleiereulen, die noch vor wenigen Jahren im Ortsbereich von Alsbach vorkamen, sind die Jagdgebiete im Umfeld zu klein geworden. Die Tierhaltung ist verschwunden und Mäuse gibt es nicht mehr in unseren Scheunen – die Messe ist für diese schöne Eule gelesen.

Kaltluftseen und Wärmeinseln – der Effekt von Bebauung in einem wärmeren Klima

Alle drei Jahre erleben wir im Schnitt einen neuen „Jahrhundert-Hitzesommer“ mit neuen Rekord-Temperaturen von inzwischen nahe 40 °C. Es kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass dieser Trend anhält und wir in wenigen Jahren im Hochsommer an der Bergstraße schon Temperaturen oberhalb 40 °C erleben werden. Jedes Grad weiter bei der durchschnittlichen Jahrestemperatur führt unweigerlich zu weiteren Extremwerten. In ungünstig gelegenen Gebieten mit hoher Bebauung, wenigen Bäumen und kühlenden Grünflächen und bei mangelnder Beschattung kann es geradezu unerträglich heiß werden. Insbesondere dann, wenn über Nacht kein Abfluss der heißen Luft in unbebaute oder am besten in bewaldete Flächen erfolgen kann. Im schlimmsten Fall heizen sich Städte in Hitzeperioden dann immer weiter auf, was sich unmittelbar messbar in den Sterbefallzahlen abbildet. Hier – wie so oft- sind besonders ältere und sozial schwache Menschen betroffen. Solche kritischen Superstadt-Konglomerate findet man zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo es praktisch überhaupt keine Übergänge zwischen den einzelnen Ortskernen mehr gibt – jede städtische Bebauung geht unmittelbar in die nächste über – Orte sind komplett verwachsen.

Genau diesen Effekt von Verschmelzung der Ortskerne erleben wir mit „Quartier 22“, verbunden mit einer Blockadewirkung. Denn bisher sind die alten Ortskerne mit unversiegeltem Offenland oder sogar mit Waldflächen umgeben.

Begrünte Ackerflächen und Wälder wirken kühlend – insbesondere in heißen Nächten. Rechts im Bild die geplante Bebauungsfläche. Links im Bild noch vorhandene Ackerflächen zwischen den Ortskernen von Alsbach und Sandwiese.

Quartier 22 ist eine schlechte Nachricht für’s Klima in Alsbach und Sandwiese.

Wenn man als Artenschützer in Sorge um den Erhalt der Artenvielfalt nach gefährdeten Arten sucht, wird man im Plangebiet „Quartier 22“ wohl wenig Gründe finden, die gegen eine Ausweisung als Baugebiet sprechen. Denn nur selten gewordenen wertvolle Biotope, wie Streuobstwiesen oder in den Roten Listen vermerkte seltene Arten (einer letztlich willkürlichen Liste, die seit Jahren einfach immer länger wird) sind manchmal ein Grund, Baumaßnahmen zu verschieben und nach Ausgleichsmaßnahmen zu suchen.

Wäre da nicht eine Art im Spektrum, um die man sich inzwischen tatsächlich Sorgen machen muss: Homo sapiens.

Der ökologische Wert der siedlungsnahen Räume ist schon heute stark gesunken, weil sich die dicht bebauten Ortskerne immer näher kommen und die unbebauten Flächen ihre Vernetzungsfunktion als Korridore für viele Arten einbüßen. Gleichzeitig sinkt aber auch die Lebensqualität für Menschen. Wenn aber die Ortskerne komplett verschmelzen, wenn es keine oder zu wenige besiedlungsfreie Zonen gibt, kommt zum Verlust an Artenvielfalt auch noch der Verlust an Flächen mit kühlender Funktion fürs Stadtklima. Es wird immer schwerer, in Zukunft unsere Städte an die heißeren Sommer anzupassen.

Als die eine Art unter den Millionen schaffen wir es inzwischen, unsere eigenen Lenbensgrundlagen irreversibel zu vernichten. Wir heizen nicht nur die Klimakrise an, sondern vernichten zusätzlich jedes Grün, das uns Luft zum Atmen verschafft. Wir betonieren Flächen zu und konsumieren weiter, als gäbe es tatsächlich irgendwo einen Planeten B, auf dem wir die Flächen finden für den Anbau von Lebensmitteln, oder wohin wir gehen können, wenn der alte Planet endgültig unbewohnbar wird.

Nachhaltiges Wirtschaften und der notwendige klimagerechte Umbau unsere Städte und Gemeinden in Zeiten der Klimakrise lassen den ungebremsten Verbrauch der Ressource Grünland nicht zu. Der Flächenfraß muss aufhören. Sofort.

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