Mitte März berichtete mir die Botanikerin Dr. Uta Hillesheim, dass sie eine Nachricht über ein massenhaftes Auftreten eines Insekts erhalten hätte. Ein Lindenbaum in Seeheim sei von dieser unbekannten Insektenart befallen.
Aufgrund der genauen Schilderung erkannte ich am Grundweg (Seeheim) von weitem den Lindenbaum (Abb. 1) und beobachtete an der Südseite des Stammes eine Vielzahl kleiner, schwarz-rot gefärbter Insekten mit silbrig glänzenden Flügelhäuten, die dichtgedrängt die langen Längsfurchen des Stammes bevölkerten (Abb. 2). Außerdem saßen diese Insekten an der Unterseite der unteren dicken Äste des Baumes (Abb. 3). Anhand der Flügelfaltung und ihres Gesamtaussehens erkannte ich, dass es sich bei diesen Insekten um Wanzen handelt.
Taxonomisch gehören die Wanzen (Unterordnung Heteroptera) zur Ordnung der Schnabelkerfe (Hemiptera) innerhalb der Klasse der Insekten. Unter Wanzen versteht man nicht nur die als Ektoparasiten bekannten, blutsaugende Bettwanzen, sondern vor allen die artenreiche Gruppe der pflanzensaftsaugenden Vertreter. Manche saugen an Beerenfrüchten, andere an zuckerhaltigen Pflanzensäften innerer Leitbahnen krautiger und holziger Pflanzen.
An den Furchen der Rinde saßen vereinzelt ausgewachsene (adulte) Exemplare der Gemeinen Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus), die sich ebenso an der Stammbasis aber in größerer Anzahl versammelten (Abb. 4 u. 5). Die Jungtiere (Larven) der Wanzen werden auch als Nymphen bezeichnet. Die Nymphen ähneln von Beginn der Wachstumsphase an adulten Wanzen (Imagines) und vervollkommnen sich mit jeder Häutung zum adulten Insekt. Diese Entwicklung ohne Puppenstadium zum fertigen Insekt nennt man unvollständige Verwandlung (hemimetabole Metamorphose), im Gegensatz zu der Entwicklung von Schmetterlingen, die sich vollständig, von einer Raupe (Larve) über das Puppenstadium zum fertigen Falter (Imago) umwandeln (holometabole Metamorphose).
Die Nymphen der Gemeinen Feuerwanzen (Pyrrhocoris apterus) sind auffallend zinnoberrot gefärbt und besitzen wie auch die adulten Wanzen (der Artname „apterus“ bedeutet flügellos) lediglich rückgebildete, d.h. nicht funktionstüchtige Flügel. Die kleinen, geflügelten Wanzen konnten deshalb keine Nymphen der Gemeinen Feuerwanze sein.
Im Internet habe ich auf der Website des NABU Berlin diese kleine Wanzenart gefunden. Es handelt sich um die Lindenwanze (Oxycarenus lavaterae). Dort wird berichtet, dass die Lindenwanze ursprünglich aus dem südwestlichen Mittelmeerraum (Iberische Halbinsel und Nordafrika) stammt. Seit den 90iger Jahren breitet sich die Art nach Norden aus. Im Jahr 2004 wurden sie das erste Mal in der Oberrheinebene beobachtet. Inzwischen sind die Lindenwanzen bis zu einer Linie Münsterland-Hannover-Berlin und sogar noch weiter in den Norden Deutschlands vorgedrungen; der nördlichste Fundort liegt auf der Insel Usedom (Stand der Information: 1. März 2022). Nach der Paarung im Frühjahr legen die Weibchen die Eier in Rindenritzen der Linde. Nach dem Laubaustrieb wandern die Larven und die erwachsenen Tiere in die Baumkrone. Dort saugen sie Saft aus den Blättern und den nicht verholzten Teilen. Der Wirtsbaum soll dabei keine dauerhaften Schäden erleiden. Neben Linden nutzt die Lindenwanze auch Malvengewächse als Nahrungsquelle, deswegen wird sie auch Malvenwanze genannt. Im Herbst sammeln sich die Tiere zur Überwinterung, jedoch fast ausschließlich an Linden, genauso, wie es hier bei uns beobachtet wurde.
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