Jun. 032012
 

Bei regnerischem Wetter trafen sich zehn Naturliebhaber in Seeheim, Nähe Odenwaldstraße, um sich vom Naturschützer und Schäfer Rainer Stürz durch den geschützten Kiefernwald führen zu lassen.

Fotos: NABU/Tino Westphal- Rainer Stürz (im Foto ganz rechts) zeigt der Gruppe die sichtbaren Erfolge seines Beweidungskonzeptes.
Seit mehreren Jahren wird das Naturschutzgebiet von Ziegen, Schafen und heute auch Eseln abgeweidet. Der Unterschied zu den sogenannten „Null-Flächen“, also Flächen ohne Weidedruck, ist offensichtlich: Ohne intensive Pflege oder Beweidung wird der Wald durch ein undurch-dringliches Dickicht von Schlehen und Brom- beeren verdrängt; Forstwirtschaft ist kaum mehr möglich, ganz zu schweigen vom Verlust an Artenvielfalt gegenüber einem offenen Wald.
Rechts im Bild: Claudia Schlipf-Traup, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeindeparlament von Seeheim-Jugenheim.
Foto links: Das Bild charakterisiert das Problem: Die Brombeere droht die extrem selten gewordenen Arten, wie hier das Wintergrün, zu überwachsen. Beweidung kann hier retten.
Rainer Stürz weist auf einen der ganz wenigen aus der Zeit der historischen Beweidung verbliebenem Wacholdersträucher. Die extrem langsam wachsenden Pflanzen würden ohne Beweidung schnell aus dem Wald verdrängt. Auch ihre Vermehrung über Stecklinge wird durch Rainer Stürz und sein Team gefördert.
Mittlerweile ein anerkanntes Erfolgsmodell: Die Waldbeweidung. Interessanterweise meiden Esel konsequent Kiefern, während sie andere Nadelbäume, wie Fichten und Douglasien und natürlich Laubgehölze kräftig verbeißen. Diese Selektion kommt den Kiefern zugute.

Rainer Stürz pflegt seit einigen Jahren innerhalb des 80 ha umfassenden NSG Kalksand­kiefern­wald ein Gebiet von 40 ha. Die von ihm organisierte Waldbeweidung anfangs mit Ziegen, später mit Schafen und Eseln, umfasst damit die größte Fläche in Deutschland.

Die Weidenutzung im Wald war bis vor hundert Jahren weit verbreitet, wie Reste von Hütebäumen – speziell verwachsenen Buchen im Gebiet – und ein ganz kleiner Wacholderbestand beweisen.
Das Gebiet wird geprägt von Kiefern, seine Besonderheit sind einzigartige Vorkommen an Federgras und einer ganzen Reihe von Orchideen, wie
der Sumpfständelwurz, der Bocksriemenzunge oder der Rotbraunen Ständelwurz. Das Rote Waldvöglein wurde gerade blühend angetroffen.

Der Rundgang beginnt mit einem Halt vor einer grünen Wand, einer sogenannten „Null-Fläche“: Ohne Weidenutzung oder sehr intensive und teure Pflege entsteht in kurzer Zeit ein undurchdringliches Gewirr aus Brombeeren und Schlehen.
Laut Rainer Stürz beruhen die Seltenheiten der Botanik auf einzigartigen Bodenverhältnissen: Die eiszeitlichen Sande sind außerordentlich kalkreich – im Unterschied zu anderern Sandgebieten in Deutschland, wie der Lüneburger Heide, die auf saueren Sandböden typische Erikaheiden entstehen läßt.

Kalksande gibt es dagegen in Deutschland nur noch auf ganz wenigen isolierten Flächen und sonst in Europa nur noch ausgedehnt in Russland und Ungarn.
Allerdings sind einige der kalkgebundenen Arten selbst in Ungarn ausgestorben, so dass Deutschland bei Arten wie der Silberscharte eine hohe Verantwortung zukommt.
Hilfe kam aber auch im hiesigen Wald erst in letzter Minute: von den zwei Federgrasarten waren vor einigen Jahren noch ganze 7 Exemplare vorhanden, mittlerweile werden wieder hunderte gezählt. Sandveilchen sind so selten, dass Botaniker aus ganz Europa anreisen, um sie hier in freier Natur zu sehen.
Am Wegrand steht der Ausdauernde Lein, auch Darmstädter Lein genannt, weil er nur hier häufig war. Steppenwolfsmilch, Sonnenröschen, Wohlriechende Knautie und der Hufeisenklee sind zu finden.
Als Besserungszeichen werden den Waldbesuchern auch die wohlschmeckenden Walderdbeeren präsentiert, die im dichten Unterholz keine Chance hätten.Seit Jahren erstmals können die Kiefern sich durch Naturverjüngung vermehren.
Immer wieder werden auch Rohböden mit Baggereinsätzen geschaffen. Technikeinsatz ist notwendig, weil der alternative Bodenumbruch durch Haltung von Wollschweinen sich genehmigungstechnisch und damit wirtschaftlich nicht als tragbar erwiesen hat.

Zu guter Letzt die Vision von Rainer Stürz für die verbuschten Sanddünen: Etablierung einer Ziegenhaltung von ca 300 Muttertieren im hiesigen Kiefernwald- mit diesem Ansatz könnte sich Umwelt- und Naturschutz mit nachhaltiger Nutzung perfekt vereinbaren lassen. Der Nachweis der positiven Effekte durch die Beweidung ist unzweifelhaft gegeben.

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