Nov 052024
 

Gemeinde Seeheim-Jugenheim will Radwegprojekt kippen

Aktuell wird in der Kommunalpolitik von Seeheim-Jugenheim diskutiert, den von Seiten des Landes geplanten Radweg von Malchen nach Seeheim abzulehnen.

Das Teilstück zwischen Malchen und Seeheim ist Teil des Radverkehrskonzepts des Landes.

Das vom Land Hessen finanzierte Projekt beinhaltet auch eine barrierefreie Bushaltestelle und eine Lichtsignalanlage in Malchen.

Eine Ablehnung der Planung kann dazu führen, dass das vom Land Hessen weitgehend ausprojektierte Vorhaben verzögert oder gestoppt wird. Eine Lücke könnte im Radweg entstehen, die das Gesamtkonzept einer für Radfahrende attraktiven Verbindung von Darmstadt nach Süden in Frage stellt und die erhofften Wirkungen auf Mobilität und Klima verhindert.

Karte: Geplanter Radweg zwischen Malchen und Seeheim

Am Sonntagmorgen gab es dazu eine gemeinsame Be-Radelung der kritischen Streckenabschnitte mit Vertretern von ADFC, NABU, SPD, Wühlmäusen und Die Linke.

Pro und Contra – die Diskussion läuft

Die aktuelle Diskussion in den Fraktionen läuft, auch nach der Präsentation des Projektes vor dem Ausschuss für Umwelt- und Naturschutz der Gemeinde Seeheim-Jugenheim am 1.10.2024.

Als Vorteile eines attraktiven neuen Radwegs mit ordentlicher Oberfläche werden eine Verbesserung der Anbindung nach Eberstadt und die Vermeidung der Bahnüberquerung genannt. Eine Verengung der Landesstraße würde zu angepasster Geschwindigkeit führen. Auch wird der Radweg im Gegensatz zum Wirtschaftsweg im Winter geräumt.

Als wichtiges Argument gegen die Trasse wird Geldverschwendung ins Feld geführt. Denn es existiert ja ein Wirtschaftsweg östlich der Bahnstrecken, ein vom Land gebauter eigenständiger Fahrradweg zwischen verengter Landesstraße und der Strassenbahn wäre damit eine unnötige Geldausgabe. Außerdem müssten einige Bäume in Malchen gefällt werden und es wird auf den fehlenden Anschluss des Radweges in Seeheim verwiesen.

Man könnte aber annehmen, dass ein wichtiger Nachteil unausgesprochen fehlt: Die mögliche Verärgerung von Autofahrenden. Denn Verengung und mögliche Geschwindigkeitsreduzierung und der mögliche Stopp an einer Lichtsignalanlage in Malchen trifft diese.
Es fehlt auch: das explizite Klima-Argument, denn attraktive, vor allem durchgehende und damit sichere Radwege tragen messbar bei zur Verminderung des CO2-Ausstoß.
Es fehlt auch: Die Bäume an der Straßenbahn haben keine Überlebensperspektive, denn wegen der Oberleitung und Geleise werden sie regelmäßig gestutzt und haben damit eine geringe Lebensdauer.

Der Bedarf

Laut Gutachten* von Hessen Mobil wurden im Tagesdurchschnitt auf der Strecke Seeheim-Malchen 130 Radfahrende in der Spitzenstunde und 1.300 Radfahrende pro Tag gezählt.

Als Schulradweg ist die Verbindung heute aus Sicherheitsgründen ungeeignet, was 437 Schüler aus Darmstadt betrifft, die täglich zum Schuldorf Bergstraße fahren, ebenso 56 Schüler aus Malchen und 366 Schüler aus Seeheim-Jugenheim, deren Schule in Darmstadt liegt (Zahlen von 2023/2024*).

Ein attraktiver und sicherer Radweg würde erwartbar die Nutzungszahlen erhöhen und gegebenenfalls AutofahrerInnen zum Umstieg auf Fahrrad motivieren. Vor allem aber könnte (auch in Anbetracht der kritischen Situation mit den „Elterntaxis“ an der Sandstraße in Seeheim) eine deutliche Verbesserung der Verkehrssituation ums Schuldorf herum bewirken, einschließlich der Möglichkeit eigenständiger Mobilität für Kinder.

Alternative Wirtschaftsweg?

Ein vorhandener Wirtschaftsweg verläuft parallel zur Straße. Er wird von Radfahrenden, Fussgängern und der Landwirtschaft gemeinsam genutzt – was natürlich Konflikte hervorruft.

Am Ortsausgang Malchen endet der Wirtschaftsweg und zwingt Radfahrende zu einem Umweg durch Malchen hindurch oder der lebensgefährlichen Querung der Strassenbahntrasse. An der Querung gab es bereits einen tödlichen Unfall mit einem Radfahrenden. Die deshalb aufgebauten Sicherheitsbarrieren zwingen heute Radfahrende zum Absteigen.

Der Wirtschaftsweg zwischen Malchen und Seeheim als alternativer Radweg ist dadurch nur für die BewohnerInnen von Malchen nutzbar, von Radfahrenden aus Eberstadt oder Menschen ohne Ortskenntnis ist er nicht attraktiv.

Rad- und Fußverkehr, darunter viele „Gassi-Geher“ mit ihren Hunden, kommen sich auf dem Wirtschaftsweg oft in die Quere, insbesondere bei Dunkelheit. Der geplante Radweg wird dazu führen, dass deutlich weniger Radler auf dem Wirtschaftsweg fahren. Der Wirtschaftsweg wird in seiner ortsnahen Erholungsfunktion dadurch aufgewertet.

Sorgen der Autofahrenden

Unausgesprochen in der bisher geführten öffentlichen Diskussion, aber offensichtlich: AutofahrerInnen fürchten, dass sie Verkehrsraum abgeben müssen, eventuell auch Geschwindigkeitsbegrenzungen hinnehmen müssen. Auch die zusätzliche Lichtsignalanlage könnte den Verkehrsfluss hindern.

Was viele vergessen: verbesserte Infrastruktur induziert zusätzlichen Verkehr – ein Effekt, der beim Bau von zusätzlichen Autobahnspuren auf Stau-geplagten Abschnitten gut bekannt ist. Investitionen in Radverkehr und öffentlichen Verkehr mit barrierefreien Ein-und Ausstiegsmöglichkeiten verringert den Autoverkehr, wie Erfahrungen aus Städten mit guten Verkehrskonzepten immer wieder zeigen. Auch Autofahrer können profitieren von der geringeren Auslastung des Verkehrsraumes mit privaten Fahrzeugen.

Keine Weiterführung in Seeheim?

Die geplante Strecke würde in Seeheim in der schon heute verkehrsberuhigten Wilhelm-Leuschner-Strasse enden und damit den Radverkehr von der viel befahrenen Heidelberger Straße wegleiten.

Aber die Kritik berührt einen wunden Punkt, denn tatsächlich endet heute in Seeheim die Idee von attraktiver Mobilität abseits vom privaten Autoverkehr. Mobilitätsplanung muss von Ende-zu-Ende gedacht werden. Und damit muss über das leider nicht vorhandene Mobilitätskonzept bei den Verantwortlichkeit für Verkehrspolitik in Seeheim-Jugenheim gesprochen werden. So werden in den laufenden Planungen von Hessen Mobil zum Neubau der Verkehrsverbindungen von Seeheim-Jugenheim nach Alsbach die Bedürfnisse der Radfahrenden weitgehend ausgeblendet. Wenn die GemeindevertreterInnen von Seeheim-Jugenheim eine solche Planung im Stil der 80er Jahre mit dem Fokus auf individuellen Autoverkehr akzeptieren, werden sie selbst zum Teil des Problems.

Das Problem mit den BäumenNaturschutz gegen Klimaschutz?

Eine schöne Baumreihe im Ortsbild Malchen würde, mindestens teilweise, dem Projekt zum Opfer fallen.

Halbe Krone, halbierter Wurzelraum – Die 18 Spitzahorn-Bäume an der Straba-Linie im Ortsbereich von Malchen haben schon heute einen nur sehr eingeschränkten Platz zum Wachsen: Einerseits wird die Durchwurzelung des Gleiskörpers unterbunden, andererseits muss die Oberleitung der Straßenbahn freigehalten werden, was regelmäßige Schneidemaßnahmen erfordert. Diese wurden leider in der Vergangenheit bei einer ganzen Anzahl der Bäume offensichtlich nicht fachgerecht ausgeführt, was Fäulniskeimen Zugang zum Stamm gewährt.

Ein Einbau von Beton-T-Profilen als Begrenzung zum geplanten Fahrradweg würde die Wasser- und Nährstoffversorgung und insbesondere durch die unvermeidliche Wurzelkappung auch die Standsicherheit der Bäume massiv einschränken. Selbst wenn einige der Bäume vorerst verschont würden, ist ihre Lebensperspektive sehr eingeschränkt, denn aus Sicherheitsgründen müssten sie in jedem Fall zeitnah gefällt werden.

Als Ausgleichsmaßnahmen wäre hier ein Ersatz der Bäume durch eine Heckenreihe mit verschiedenen Arten einheimischer Blühsträuchern vorzuziehen (Beispiel Weißdorn, Schwarzdorn, Kornelkirsche). Die Hecke böte sowohl Lärmschutz, als auch ein besseres Nektarangebot für Insekten. Parallel sollten neue Bäume gepflanzt werden auf der gegenüberliegenden Seite der Straßenbahnlinie auf der gesamten Strecke zwischen Seeheim und Malchen. Dies wurde von Hessen Mobil bereits angeboten.

Fazit

Hessen Mobil hat laut ADFC Interesse gezeigt, diese wichtige Radverbindung und die geplanten Ausgleichsmaßnahmen gemeinsam mit der Gemeinde Seeheim-Jugenheim zu gestalten. Durch Fundamentalopposition ist es wahrscheinlich, das der Weg nur verzögert wird, und die Gemeinde hierdurch die Möglichkeit einer gemeinsamen Gestaltung verliert.

Für den NABU bleibt festzustellen: Wir fordern ein fortschrittliches Mobilitätskonzept für Seeheim-Jugenheim. Die Klimakrise und die Krise der Biodiversität verstärken sich gegenseitig und erodieren unsere Lebensgrundlagen, Anpassungsmaßnahmen sind zwingend notwendig. Natürlich muss angemessener Ausgleich gesichert werden für etwas notwendige Versiegelungen. Das erscheint aus Sicht des NABU im Falle der Bäume in Malchen möglich, daher darf der Erhalt der Straßenbäume nicht als billiges Argument zum Aufhalten der notwendigen Anpassungen dienen. Der Naturschutz darf nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt werden.

*Quelle: Präsentation Hessen Mobil vor dem Ausschuss für Umwelt- und Naturschutz – Seeheim-Jugenheim am 1.10.2024

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