Jan 072024
 

Biotop des Jahres 2024

Die Naturschutzverbände von Seeheim-Jugenheim wählen jedes Jahr ein Tier, eine Pflanze oder ein Biotop des Jahres, um auf ein lokales Problem oder ein zu förderndes Naturschutzobjekt hinzuweisen.

Was der Amazonas für Südamerika ist, sind die Rotbuchenwälder für Deutschland und Europa. Sie bedeckten einst zwei Drittel Deutschlands. Durch Besiedlung, Waldumwandlung und Ackerbau sind diese vielfältigen Ökosysteme auf heute nur noch 7 Prozent des ursprünglichen Areals geschrumpft. Alte Buchenwälder gibt es in Deutschland kaum noch. Deutschland hat als Zentrum der einstigen Buchenurwälder eine besondere Verantwortung, die verbliebenen Buchenwaldgesellschaften zu bewahren. 

Foto: Yvonne Albe

Je nach den unter den Bäumen wachsenden Sträuchern und Gräsern lassen sich verschiedene Buchenwaldgesellschaften unterscheiden:  Am häufigsten kommt der Hainsimsen-Buchenwald vor, benannt nach einem Binsengewächs. Weitere Buchenwaldgesellschaften sind u.a. der Waldmeister-Buchenwald oder der Orchideen-Buchenwald. Die Buche ist in diesen Wäldern die Hauptbaumart, wird aber meist von weiteren Baumarten begleitet. Buchenwälder geben zahlreichen Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause. Es wird davon ausgegangen, dass Buchenwälder rund 10 000  verschiedene Tierarten beherbergen, Pilze und Mikroorganismen gibt es in unvorstellbar großer Zahl. In Wirtschaftsbuchenwäldern existieren aufgrund der meist fehlenden Strukturvielfalt und geringen Totholzmengen weniger Arten als in naturbelassenen Buchenwäldern. Die Stabilität eines Waldes steigt mit seiner Artenvielfalt und seinem Alter.

Die Gemeinde Seeheim-Jugenheim und angrenzende Gemeinden besitzen große Buchenwaldareale, die es im Klimawandel zu erhalten gilt. Das Gebiet „Kniebrecht, Melibocus und Orbishöhe bei Seeheim-Jugenheim, Alsbach und Zwingenberg“ ist Teil des europaweiten Natura-2000-Netzwerks und steht unter dem rechtlichen Schutzstatus der Europäischen Union. Die Buchenwälder in unserer Region sind nicht nur für uns Erholungssuchende und Naturliebhaber ein Quell der Freude, sondern sie spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Grundwasserneubildung, Wasser- und CO2-Speicherung.

Doch mit den steigenden Temperaturen, zunehmenden Dürreperioden und intensiver Forstwirtschaft zeigen sich nun vermehrt auch Schäden an Buchen, und sie wird von manchem Forstbetrieb als nicht zukunftsträchtig eingeschätzt: Andere Baumarten, teils aus fernen Ländern und Erdteilen, sollen sie teilweise ersetzen. 

Doch bei dieser Frage lohnt sich ein Blick in den Wald und auf die Erkenntnisse der Wissenschaft: Dabei fällt auf, dass die Buche dort Schwächen zeigt, wo sie dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt ist, an Waldrändern, Wegen und dort, wo forstliche Eingriffe in den Wald vorgenommen wurden. Studien bestätigen diese Befunde und stellen u.a. fest, dass die Sterblichkeit der Schattenbaumart Buche auch dort besonders groß ist, wo schon vor Jahren oder Jahrzehnten größere Eingriffe in Buchenwaldgesellschaften vorgenommen wurden. Besonders in trockenen Jahren wirken sich solche Auflichtungen gravierend aus.

Die Buche verfügt über einen enormen genetischen Reichtum, der länderübergreifend viel höher ist als bei den meisten anderen Baumarten. Sie war im Laufe der 80 Millionen Jahre ihrer Evolution immer wieder in der Lage, sich den verschiedensten klimatischen Bedingungen anzupassen und ihren Fortbestand zu sichern. In dieser großen Variabilität sehen Forschende die Basis für die Anpassungsfähigkeit von Buchenwaldgesellschaften im Klimawandel. Gibt man gesunden alten Buchen die Chance, ihre Gene weiterzugeben, so werden sich diejenigen Keimlinge durchsetzen, die sich besonders gut an Trockenheit und Hitze anpassen können. Große Buchen sind bei der Verbreitung von Pollen essenziell, damit genetisches Material nicht vor Ort bleibt, sondern auch weiter entfernte Gebiete erreicht. Deren Pollen werden über Hunderte bis Tausende Kilometer mit dem Wind transportiert. So ist es zu erklären, dass Buchen von Skandinavien bis nach Süditalien vorkommen, genetisch verschränkt und den Klimaten vor Ort angepasst. Eine jüngst veröffentlichte Studie der TU Dresden zeigt, dass junge Buchen bereits jetzt wesentlich trockenheitsresistenter sind als die vorherigen Baumgenerationen. 

Die Naturschutzverbände von Seeheim-Jugenheim wollen mit der Wahl der Buchenwälder zum Biotop des Jahres 2024 deutlich machen, dass sie bedroht sind, aber keineswegs ausgesorgt haben. Die Art und Weise, wie wir sie behandeln, trägt entscheidend zu ihrem Überleben bei. Der Erhalt alter und großer Bäume, die Aufrechterhaltung des Waldinnenklimas und die Anreicherung von Totholz sind hierbei die entscheidenden Faktoren. 

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