Nov 162021
 

Exotenwald bei Seeheim

„Versuchsfläche“ nördlich Malchen im Staatsforst

Am Samstag, 20. November sollen 180 junge Bäume in der Nähe des Seeheimer Waldfriedhofs gepflanzt werden. Super Sache, könnte man denken: „Klotzen, nicht kleckern!“ Aber es lohnt sich aus ökologisch informierter Sicht genauer hinzuschauen: Das Ganze ist wohl ein großer Feldversuch, für den die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) gebietsfremde Bäume gespendet hat: Maulbeere, Platane, Hickory, Gingko, Zeder und Gelbkiefer. Nun zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse aber ziemlich eindeutig: Gebietsfremde Baumarten bieten keinen Lebensraum für das heimische Artengefüge, und das betrifft sowohl Tiere als auch andere Symbiosepartner wie Pilze (Mykorrhiza), die auf Dauer nur als gemeinsames Ökosystem überleben können. Statt sich in dieses System einzufügen, breiten sich gebietsfremde Arten oft ungehindert aus und verdrängen einheimische Arten. Auch wenn sie sich vielleicht als resistenter gegen Trockenheit erweisen sollten, schaden diese Bäume im Ökosystem vorhersehbar mehr, als dass sie nutzen.

Wie andere Natur- und Waldschützer:innen lehnen wir diese Aktion klar ab und ermuntern Sie dazu, Ihr Engagement ebenfalls anderweitig sinnvoller einzusetzen, zum Beispiel bei dieser Pflanzaktion.

Wald auf dem Weg in die Heißzeit

Insbesondere kahlgeschlagene und angrenzende Waldflächen reagieren sensibel auf den zu erwartenden Hitzestress der kommenden Jahre. Die natürliche Wald-Regeneration wird hier eher behindert, CO2 wird in hohen Größenordnungen freigesetzt.

https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/der-wald-deutschland-auf-dem-weg-die-heisszeit

  3 Responses to “Bäume pflanzen – je mehr desto besser?”

  1.  

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    leider ist in Ihren Artikel zur Pflanzung einiges durcheinander geraten, welshalb ich Ihnen hier diesen kleinen Faktencheck als Ergänzung und zur Veröffentlichung anbiete, damit bei den Leserinnen und Lesern kein falscher Eindruck entsteht.

    1. Bei der Pflanzaktion am Samstag handelt es sich um eine von der waldbesitzenden Gemeinde mehrheitlich beschlossenen Aktion.
    2. Die Bilder in diesem Artikel zeigen nur die Versuchsfläche im Staatswald (auch das obere Foto – das ist nicht die Pflanzfläche des Gemeindewaldes).
    3. Zum Thema Kohlenstoffbindung im Wald empfehle ich Ihnen folgenden wissenschaftlich (auch publizierten) Artikel: https://www.researchgate.net/publication/351956202_Fakten_zum_Thema_Walder_und_Klimaschutz
    4. Das „neue Bild der forstlichen Praxis von HessenForst“ zeigt das Bild einer Versuchsfläche. Dass eine Waldfläche vor der Pflanzung so vorbereitet wird ist eine absolute Ausnahme und keine forstliche Praxis.
    5. Die Waldfläche bei Seeheim bleibt Waldfläche (und nicht ehemalig).

    Beste Grüße
    Michelle Sundermann, HessenForst

    •  

      Sehr geehrte Frau Sundermann,
      Vielen Dank für Ihren Kommentar auf den ich gern wie folgt eingehe
      1.
      Ihnen ist sicher aufgefallen: wenn HF im Staatsforst Exotenwälder – auf deutlich größerer Fläche – ebenso anlegt, wie im Gemeindewald, schwächen Sie selbst ihr Argument, die Gemeindeinteressen wären der Treiber der Entscheidung. Wir sehen grundsätzlich das Problem, dass GemeindevertreterInnen ihrem Forst-Leistungsanbieter gern vertrauen und dieses Vertrauen sehen wir hier grob missbraucht.
      2.
      Siehe oben – die Aussage bleibt dieselbe.
      3.
      Ihre Referenz verweist auf Holznutzung als Option für Klimaschutz- das ist aber gar nicht Thema des Artikels, denn der NABU stellt nachhaltige Formen von Holznutzung selbstverständlich nicht in Frage. Der Vorwurf im Artikel bezieht sich vielmehr auf die simple Tatsache, dass die angewandte Methode der agrartechnischen Bodenbearbeitung sofort und in den nächsten Jahren massiv CO2 freisetzten. Nicht nur wurde 100% des Totholzes entfernt, auch die Bodenstuktur des Waldbodens selbst wird durch Verdichtung und wegen der Sonnenexposition bedingtem Hitzestress weitgehend vernichtet. Waldboden wurde schon durch die bisher üblichen Kahlschläge (sogenannte „Schirmschläge“) nachweislich geschädigt, hier aber wird eine ganz neue Qualität der Humusvernichtung angestossen.
      4.
      Das Bild der Versuchsfläche nach Vollzug den forstlichen Massnahmen spricht für sich. Wir haben die Sorge dass HessenForst genau hier den Übergang zur weiteren Wald-Intensivierung demonstriert, und damit das Ende des Waldes als naturnahes Ökosystem.
      5.
      Die ehemalige Waldfläche wird Jahrzehnte brauchen, um sich als Wald zu regenerieren. HessenForst mag diese Fläche noch als Wald ansehen – NABUs und andere Naturschützer sehen hier erstmal den Vollzug von Waldvernichtung.

      Viele Grüße aus Seeheim
      Tino Westphal
      NABU Seeheim-Jugenheim

      •  

        Zu dem Kommentar von Frau Sundermann möchte ich noch folgendes anbringen: Die Prämisse in dem von Ihnen zitierten Artikel (Bolte et al., 2020) ist von anderen Wissenschaftlern mehrfach kritisiert worden (vgl. Kun et al. 2020) und zahlreiche Publikationen suggerieren das exakte Gegenteil (z.B. Moomaw, Masino, & Faison, 2019). Es geht dabei klar hervor, dass unbewirtschaftete Wälder einen höheren Beitrag als Kohlenstoffsenken leisten als Wirtschaftswälder und das es von großer Wichtigkeit ist für den Klimaschutz größere Waldflächen aus der Nutzung zu nehmen. Die immer wieder auftauchende Behauptung Wirtschaftswälder würden mehr zum Klimaschutz beitragen wird mittlerweile rege diskutiert. Insbesondere entbrannte kürzlich eine Diskussion über einen Artikel von Schulze et al. (2020) bei dem den Autoren vorgeworfen wurde falsche Daten für ihre Berechnungen zugrunde gelegt zu haben (Welle et al. 2020a und 2020b). Auch von Booth et al. (2020) wurde gegen diese Behauptung argumentiert und methodische Fehler offengelegt. Die offenbar falsche Datengrundlage für eine entscheidende Berechnung wurde vom Thünen-Institut und damit vom Erstautor des von Ihnen zitierten Artikels verteidigt (Stellungnahme des Thünen-Instituts). In dem Artikel wurde postuliert das bewirtschaftete Wälder durch Substitution fossiler Brennstoffe mehr zur CO2 Reduktion beitragen können. Die von Ihnen zitierte Quelle übernimmt außerdem argumentative Elemente von Schulze et al. (2020) insofern als dass die Berechnung ausschließlich auf Basis von jährlichen Kohlenstoffflussraten erfolgt. Dies wird von Kun et al. (2020) als inkorrekte Messgröße kritisiert und betont, dass nur das relative Verhältnis der Kohlenstoffanteile in Biomasse und Atmosphäre entscheidend für die Betrachtung der CO2-Fixierung sind. Der Vergleich von jährlichen Holzzuwachsraten wird hier offenbar als ausschließliche Argumentationsgrundlage verwendet. Die Quelle ist ein ebenso von Bolte veröffentlichter Artikel, der leider nicht einfach zugänglich ist. Die Schlussfolgerung mit der verwendeten Datengrundlage muss vor dem Hintergrund gegensätzlicher Erkenntnisse mindestens als fraglich gelten.

        Im Übrigen zitiert Bolte et al. (2020) Pretsch, Schütze und Uhl (2012), dass im Hinblick auf Trockenstress die Anfälligkeit für Schäden in Mischwäldern geringer sei und die „Mischung“ der Bäume in Kulturwäldern besser gesteuert werden könne. Man könnte die Arbeit von Pretsch auch im Kontrast zur Forstwirtschaft sehen, da diese belegt, dass Mischwälder besser als Monokulturen auf Trockenstress reagieren. Ein Vergleich mit natürlichen Mischwäldern bleibt hier offenbar aus. Es gibt somit keinen Grund anzunehmen, dass natürliche Mischwälder hier forstlich beeinflussten Wäldern unterlegen sind. Die eigentliche Frage ist jedoch warum die Forstwirtschaft nicht diese Erkenntnisse nutzt und die suggerierte bessere Einflussnahme auf die Mischung der Bestände anwendet. Es werden stattdessen weiter Monokulturen gepflanzt und gefördert. Oder wie hier andere, fremde Baumarten ins Feld geführt.

        Unabhängig davon, zeigen unbewirtschaftete Wälder eine höhere Biodiversität (Paillet et al., 2010). Man sollte über die Klimakrise nicht vergessen, dass wir auch noch eine Biodiversitätskrise haben. Auch die hier angestrebte Nutzung von nicht-heimischen Baumarten wirkt sich negativ auf die Biodiversität aus. Sogar in einem sehr forstlich gefärbten Artikel von Schmidt (2019) wird zu dem Schluss gelangt, dass „Fremdländische Baumarten daher in unseren Wäldern nur nach vorheriger intensiver Risikoabschätzung und keineswegs in Reinbeständen, sondern nur in intensiver Mischung mit einheimischen Baumarten ausgebracht werden sollten“ und das es „durchaus ökologische Auswirkungen gibt“. Im ganzen Artikel wird versucht die Prämisse ins Ziel zu retten, dass man fremdländischen Baumarten zumindest eine gut abgewägte Rolle zugestehen sollte, während praktisch alle angebrachten Argumente dagegensprechen. Insbesondere wird klar die negativen Auswirkungen auf die Insekten betont. Dies entspricht meinen eigenen Erfahrungen und vielen Ergebnissen in der Literatur. In anderen Aspekten wird die naturschützerische Sicht aufgezeigt, aber der forstlichen den Vorzug gegeben.

        Es ist schon interessant, dass wissenschaftliche Arbeiten, welche die forstliche Praxis untermauern fast immer von Autoren mit direkter Verbindung zur Forstwirtschaft publiziert werden. Es sieht schon etwas so aus als wird hier von Seiten der Forstwirtschaft eine gezielte Polarisierung der Wissenschaft betrieben.

        Die nicht-nachhaltige Holznutzung ist ein Mitverursacher des Klimawandels. Auch nachhaltige Nutzung kann nicht dessen einzige Lösung sein. Die Nutzungsintensivierung muss gestoppt und große Waldflächen aus der Nutzung genommen werden. Nicht-heimische Baumarten gefährden die günstige Entwicklung der Artenvielfalt und stellen ein erhebliches Gefahrenpotential im Bezug auf weitere forstliche Nutzungsintensivierung dar. Es sollte unterlassen werden solche eindeutig auf wirtschaftliche Profite orientierte Überlegungen unter dem Deckmantel von Klimaschutzmaßnahmen erscheinen zu lassen. Dies als kleiner Faktencheck um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen.

        Grüße Dennis Sanetra

        Quellen:
        Booth et al. 2020 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcbb.12716
        Kun et al. 2020 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcbb.12714
        Moomaw, Masino & Faison (2019) https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/ffgc.2019.00027/full
        Paillet et al. 2010 https://old.valladares.info/pdfs/Paillet_et_al_2010%20Biodiversity%20in%20managed%20and%20unmanaged%20Euroepean%20forests%20Cons_Biol.pdf
        Pretzsch, Schütze und Uhl, 2012: Resistance of European tree species to drought stress in mixed versus pure forests: evidence of stress release by inter-specific
        facilitation. plant biology.
        Schmidt, 2019 https://www.lwf.bayern.de/biodiversitaet/biologische-vielfalt/230750/index.php
        Schulze et al., 2020 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcbb.12672
        Stellungnahme Thünen-Institut https://www.thuenen.de/media/institute/wo/Allgemein/StN_Schulze_Welle_Klima_von_Wald_zur_Bioenergie_2020_publ.pdf
        Welle et al. 2020a https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcbb.12738
        Welle et al. 2020b https://naturwald-akademie.org/wp-content/uploads/2020/09/NWA-CEEM_WWA_Reaktion_auf_Stellungnahme-des-Thuenen-Instituts_17Sept20_fin.pdf

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